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Der Pestengel von Freiburg

Der Pestengel von Freiburg

Titel: Der Pestengel von Freiburg
Autoren: Astrid Fritz
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    Clara zog ihre Hand zurück. «Ich weiß. Viel zu schnell werdet ihr alle groß.»
    Sie betrachtete Johanna, die in zwei Jahren, wenn sie sechzehn wurde, Benedikts Kinderfreund heiraten würde, den Tucher Meinwart. Mit dessen Eltern war bereits alles abgesprochen. Clara unterdrückte einen Seufzer.
    «Und vergiss nicht wieder deine Handschuhe. Es ist bitterkalt draußen.»
    Als sie ihren Sohn zur Haustür brachte, musste sie an sich halten, ihm keinen Kuss auf die Stirn zu drücken. Benedikt hatte recht – am liebsten würde sie ihn noch immer hätscheln und umsorgen wie ein Kleinkind. Aber vielleicht wollte sie auch nur die Strenge ihres Ehegefährten ein wenig ausgleichen. Heinrich nämlich hatte nie verwunden, dass sein Ältester nicht in seine Fußstapfen getreten war und sich stattdessen in ungeahnter Starrköpfigkeit für eine Lehre als Steinmetz entschieden hatte. Dass der Junge in nur vier Jahren seine Lehrzeit durchlaufen hatte und bereits jetzt, mit gerade einmal zwanzig, vom Gesellen zum Meisterknecht berufen worden war und für die hochangesehene Kirchenbauhütte arbeitete, schien seinen Vater nur wenig zu versöhnen. Nicht einmal, dass er dereinst als Steinmetzmeister zu den bestbezahlten Handwerkern gehören würde.
     
    Keine halbe Stunde später öffnete Clara das Hoftor und trat hinaus auf die Webergasse. Von hier waren es nur ein paar Schritte hinüber zur Großen Gass, wo die hiesigen Marktleute ihre Erzeugnisse feilboten. Eisiger Wind blies ihr entgegen, und sie schlang sich ihr wollenes Tuch enger um den Kopf. Die Holztrippen unter den Schuhen hätte sie sich heute ersparen können, so festgefroren war der Boden.
    Jemand hatte das Trittbrett, das hier wie überall von der Haustür zu den Bohlen in der Straßenmitte führte, zur Seite gezogen. Das war sicher einer der Juden gewesen, die sich fortwährend darüber beklagten, mit ihren Karren nicht mehr durchzukommen vor lauter Brettern. Aber wie sonst hätte man in diesem bislang ganz und gar verregneten Winter aus dem Haus gekonnt? Die Böden waren am Ende völlig aufgeweicht und von tiefen Fahrrinnen durchzogen gewesen, nur mehr ein einziger Matsch aus Morast, Schweine-, Hunde- und Hühnerkot, der die Abwassergräben auf der Gassenmitte verstopfte. Und wie die Menschen nun mal waren: Sobald die Gassenfeger nicht mehr nachkamen, den durchnässten Unflat wegzuschaffen, kippten sie trotz strenger Verbote erst recht ihre Brunzkacheln und Essensreste aus dem Fenster und lockten damit noch mehr Viehzeug und Gestank an.
    Clara schnaubte. Wenigstens hierin erwies es sich als Vorteil, Tür an Tür mit den Juden zu leben. Bei ihnen war es um einiges sauberer als in den restlichen Gassen der Stadt, wo man sogar über tote Säue und Katzen stolperte und sich die Misthaufen bis zu den Gräben häuften.
    Sie schickte sich eben an, in Richtung Marktgasse zu gehen, als Johannas Rufen sie innehalten ließ.
    «Du hast was vergessen, Mutter.»
    Das Mädchen stand in der Haustür und hielt ihr den tönernen Tiegel entgegen.
    «Ach herrje, die Paste. Ich dank dir, meine Liebe. Vergiss nicht, das restliche Kraut einzusäuern. Und wenn du Kathrins Verband wechselst, lass den Arm ein Weilchen an der frischen Luft. Das tut der Wunde gut.» Sie machte sich immer noch Sorgen um ihre Kleinste, die sich beim Spielen am Herdfeuer verbrannt hatte.
    Johanna lächelte ihr feines Lächeln. «Ich weiß schon, Mutter.»
    Clara nickte. Ihre Älteste war so ganz anders als Benedikt. So verständig und umsichtig, dazu fleißiger als jede Magd. Bald schon ein wenig zu uneigennützig, befand Clara. Einem Weib konnte das zum Schaden werden – und sie dachte dabei unwillkürlich an den jungen Tucher. Johanna hatte damals in das Eheversprechen eingewilligt, obgleich dem Mädchen der stille, schüchterne Sohn des Wollschlägers weitaus besser gefallen hatte. Aber als fünftes Kind einer ärmlichen Familie würde der wohl kaum jemals seine eigene Familie angemessen ernähren können. Meinwarts Vater hingegen war ein erfolgreicher Kaufherr, der seinen Handel bis nach Savoyen und ins Burgund betrieb. Zudem kannte man sich gut, da die Tuchers im Haus gegenüber gewohnt hatten und die Kinder miteinander aufgewachsen waren. Inzwischen allerdings waren sie in ein weitaus prächtigeres Haus am Markt gezogen – auch weil sie nicht länger am Eingang zum Judenviertel wohnen wollten. Und aus dem aufgeweckten, etwas wilden Knaben Meinwart war ein eitler Nichtsnutz und Daumendreher geworden,
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