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Der Pestengel von Freiburg

Der Pestengel von Freiburg

Titel: Der Pestengel von Freiburg
Autoren: Astrid Fritz
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Kapitel 1
    S chwefelgelb türmten sich die Wolken gen Süden, als ein Donnerschlag die umliegenden Berghänge erzittern ließ. Die Bauersleute starrten fassungslos auf die Flamme, die dem Wolkengebirge entwich – eine Flamme von grellem, unwirklichem Blau, die allmählich größer wurde und auf die Menschen zuströmte. Eine Frauengestalt in weißem Gewand löste sich daraus, das offene Haar schimmerte silbern, die Augen glänzten, um die Stirn strahlte ein feuriger Kranz. Majestätisch hob sie die Hand und schwebte auf den Ersten zu, einen mageren Burschen, der aufschrie und doch keinen Laut herausbrachte. Schon schleuderte sie einen Pfeil aus bleicher Hand, schon ging der Junge in die Knie, bäumte sich auf und sackte leblos in sich zusammen. Der Altbauer war der Nächste in der Reihe, nach ihm seine beiden Knechte, die Mägde, seine Frau, die jüngsten Kinder – keinen verschonte die Todesbotin. Vom nahen Dorf her begannen die Hunde zu heulen, als sich der letzte der dreizehn Leiber in die Erde schmiegte und verstarb.
     
    «Der Pestengel», entfuhr es Clara. Sie stellte den Milchkrug so heftig auf dem Tisch ab, dass er überschwappte, und bekreuzigte sich.
    Ihr Mann zog die Augenbrauen zusammen. «Ein dummer Traum, nichts weiter.»
    «Mag sein.» Benedikt wirkte noch immer verstört. «Aberich bekomme das entsetzliche Bild nicht aus dem Kopf. Und dann – jedermann weiß doch, dass Träume in die Zukunft weisen können.»
    Heinrich Grathwohl warf seiner Frau einen missbilligenden Blick zu. «Das hast du jetzt von deinem ewigen Gerede von Zeichen und Träumen. Schau dir nur mal die Johanna an – ganz verschreckt sieht sie aus.»
    Eine Zeit lang war nur das Knacken des Herdfeuers zu vernehmen. Sein flackernder Schein spendete das einzige Licht an diesem dunklen Wintermorgen.
    Clara gab sich einen Ruck.
    «Euer Vater hat recht. Manchmal träumt man auch von Sachen, die einem nicht aus dem Sinn gehen.» Sie betrachtete Benedikt, ihren Ältesten, voller Zuneigung. Schon als Knabe war oft die Phantasie mit ihm durchgegangen, hatte er sich in Träumereien verloren, wo andre Kinder auf der Gasse sich um einen Ball gerauft hatten.
    «Bei euch auf der Baustelle wird viel geschwatzt», fuhr sie fort. «Wahrscheinlich hast du da irgendwas aufgeschnappt.»
    Das herrische Klopfen draußen an der Haustür unterbrach ihr Gespräch. Solcherart pflegte sich nur der Gerichtsbote anzukündigen.
    Der Hausvater zog eine Grimasse und verließ die wohlig warme Küche Richtung Haustür. In der Regel hatte ein Besuch des Boten nichts Gutes zu bedeuten, schon gar nicht zu so früher Stunde. Clara hörte, wie der Riegel zurückgeschoben wurde, dann die knarzende Stimme des Büttels. Als ihr Mann mit einem Schwall kalter Luft zurückkehrte, zerrte er Hut und Umhang vom Wandhaken.
    «Ich muss zur Gerichtsschau. Ein totes Neugeborenes, im Weinkeller vom Spital.»
    «Heilige Elisabeth, wie furchtbar!» Clara bekreuzigte sich zum zweiten Mal an diesem Morgen. «Willst du nicht wenigstens noch fertig essen?»
    Heinrich Grathwohl schüttelte den Kopf. «Behaimer wartet schon. Ach, das hätt ich beinah vergessen.»
    Er zog einen verschlossenen Tiegel vom Küchenbord und reichte ihn Benedikt.
    «Eine Paste aus Eibischwurzel. Bring sie rasch zu den Grünbaums, ich hab es bereits für gestern versprochen. – Ihr Arzt ist mal wieder krank», fügte er, in Claras Richtung, fast entschuldigend hinzu. Dann war er auch schon aus der Küche verschwunden.
    Clara riss ihrem Sohn das Töpfchen aus der Hand.
    «Lass nur, ich mach das. Ich muss ohnehin nachher zum Apotheker und zum Markt.» Sie tat, als bemerke sie die Enttäuschung in Benedikts Blick nicht. «Und du, Johanna, geh die Kleinen wecken. Es ist ja schon helllichter Tag. – Was glaubst du, Benedikt», sie versuchte, ihrer Stimme einen munteren Klang zu geben, «wirst du heut nach der Arbeit wieder mit Meister Johannes zu Tisch gehen?»
    Benedikt zuckte die Schultern. «Ich weiß es nicht.»
    «Ach, mein Junge. Ich bin so stolz auf dich. In so kurzer Zeit schon Meisterknecht.»
    Sie strich ihm über das dichte, wellige Haar, das mit den Jahren immer dunkler wurde. Als kleiner Junge hatte er goldblonde Locken gehabt, die ihm bis über die Schulter fielen, und es hatte ihr im Herzen wehgetan, dass sie sie eines Tages abschneiden musste. Die Gassenbuben hatten ihn nämlich als «Mägdelein» zu hänseln begonnen.
    «Mutter!» Benedikt entwand sich ihrer Zärtlichkeit. «Ich bin kein Kind
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