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Der Pestengel von Freiburg

Der Pestengel von Freiburg

Titel: Der Pestengel von Freiburg
Autoren: Astrid Fritz
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Tischplatte ab und blieb unschlüssig stehen.
    «Sonst noch was?» Deborah kniff misslaunig die Augen zusammen.
    «Wann ist euer Arzt eigentlich wieder gesund?»
    «Willst
du
das wissen oder dein Mann?»
    Clara schob verärgert die Unterlippe vor. «Kannst du mir nicht einfach eine Antwort geben?»
    Stattdessen wurde Deborah von einem neuen Hustenanfall geschüttelt. Clara griff zu dem Wasserkrug, der in der Mauernische stand, goss den Becher daneben halb voll und drückte ihn Deborah in die Hand, nachdem sie wieder zu Atem gekommen war.
    «Du musst viel trinken. Und frische Luft solltest auch mal reinlassen. Das ist ja zum Ersticken hier.»
    Dann wandte sie sich ohne Gruß zur Tür, wo das Dienstmädchen wartete, um sie hinauszugeleiten. Unten in der Eingangsdiele begegnete sie Esther, die freundlich grüßte. Das Mädchen, die einzige Tochter der Grünbaums, war ausnehmend hübsch. Das schmale, ebenmäßig geschnittene Gesicht mit den vollen Lippen und den dunkelblauen Augen hatte selbst jetzt, in seiner winterlichen Blässe, einen zarten mattbraunen Schimmer. Es glich den Marienbildnissen, wie sie die Kirchenmaler darzustellen pflegten, und strahlte dieselbe Herzensgüte aus.
    «Seit wann leidet deine Mutter unter diesem bellenden Husten?»
    «Die zweite Woche nun schon.» Das Mädchen zog sich den Schleier von ihrem dunklen Haar. «Nachts ist es noch schlimmer.»
    «Habt ihr Salbei im Haus?»
    «Ich denke, ja.»
    «Dann koch einen großen Kessel davon auf. Statt Wasser soll sie tagsüber von dem Sud trinken, mit viel Honig gesüßt.»
    Ester nickte. «Das mach ich.» Sie senkte den Blick, und ein Hauch von Röte überzog ihre Wangen. «Mein Vater lässt fragen, ob Benedikt heute Abend nach unserem Herd in der Küche sehen kann. Er zieht nicht mehr richtig, und Aaron ist bis morgen in Straßburg. Außerdem», jetzt wirkte sie noch verlegener, «fängt doch nach Sonnenuntergang der Schabbat an.»
    «Benedikt hat keine Zeit. Ich werde meinem Mann Bescheid geben.»
    Clara war froh, als sie wieder draußen in der Winterkälte stand. Irgendwie empfand sie die Besuche bei ihren jüdischen Nachbarn immer wieder als beklemmend. Das lag nur zum Teil an dieser ganz unverhohlen ausgestellten Pracht und Eleganz, denn das Gefühl von Neid war Clara fremd. Eher schon hatte es mit der Hausherrin zu tun. Vor allem Clara gegenüber verhielt sich Deborah auf eine nahezu streitbare Weise herablassend, ja feindselig. Und seit jenem Vorfall vor einem Jahr, als Deborah behauptet hatte, Clara habe bei einem ihrer Besuche einen kostbaren Kelch mitgehen lassen, war ihr Verhältnis endgültig verdorben. Deborah hatte sich nicht einmal entschuldigt, nachdem herausgekommen war, dass ihr früheres Dienstmädchen den Diebstahl begangen hatte.
    Nicht zuletzt waren da all diese fremdartigen Feierlichkeitenund Riten, diese Gebote und Vorschriften, denen sich die Hebräer unterwarfen und dabei doch angeblich an den Einen, denselben Gott glaubten wie die Christenmenschen. Allein diese unbegreiflichen Speisegesetze: Koscher und damit erlaubt war das Rind, weil es wiederkäute und gespaltene Hufe hatte, nicht indessen das Kamel, das zwar wiederkäute, aber keine gespaltenen Hufe hatte, oder gar das als höchst unrein verrufene Schwein, das zwar gespaltene Hufe aufwies, dafür nicht wiederkäute. Hering durfte gegessen werden, nicht aber Aal. Geflügel war erlaubt, Raubvögel hingegen nicht. Auch durfte Fleisch kein Quäntchen Blut mehr enthalten und nicht mit Milch in Berührung kommen, Fleischiges und Milchiges mussten somit in getrenntem Kochgeschirr zubereitet werden. Das sollte ein Mensch begreifen! Und an ihrem Schabbat, ihrem heiligen Ruhetag, durften sie nicht einmal eine Kerze entzünden oder eine Schreibfeder halten.
    Kopfschüttelnd nahm Clara ihren Korb unter den Arm und bog in die Große Gass ein, die sich allmählich mit Dienstmägden, Hausfrauen und Kindern, mit frei laufenden Hunden und grunzenden Schweinen füllte. An Tagen, an denen die aufgesteckte rote Fahne auch fremdem Gewerbe und Handel Marktrecht verlieh, wenn obendrein noch der Vieh- und Rindermarkt abgehalten wurde, gab es hier, auf der Hauptstraße der Stadt, kein Durchkommen mehr. Dann überschrien die Ausrufer sich gegenseitig, um Kundschaft anzulocken, priesen Quacksalber ihre Wundermittel, Zahnbrecher ihre blutigen Dienste an, und nicht selten präsentierten Spielleute und Artisten ihre Künste. An gewöhnlichen Vormittagen wie heute war indessen nicht mal die Hälfte
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