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Der Pestengel von Freiburg

Der Pestengel von Freiburg

Titel: Der Pestengel von Freiburg
Autoren: Astrid Fritz
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verführerische Duft frischer Spitzwecken stieg ihr in die Nase. Sie beschloss, sich und den Kindern etwas Gutes zu tun, und kramte eine Münze aus ihrer Geldkatze.
    «Vier von den hellen, Karrenbeck.»
    «Hat dir dein Alter wohl nichts vom Morgenessen gelassen?» Der Mann grinste und reichte ihr vier besonders große Wecken. «Sag, Clara, könnt heut noch einer von euch nach meiner alten Mutter sehen? Ihr ist wieder die Hex’ ins Kreuz gefahren.»
    «Ja freilich, aber erst gegen Abend. Sie soll keinesfalls aufstehen, am besten die Beine hochlegen.»
    «Sag ich ihr. Dabei hat die Arme eben erst ihren Winterkatarrh hinter sich. Na ja, wenn’s nur das ist – jetzt grad hustet und rotzt ja die halbe Stadt.» Er hielt Clara am Arm fest. «Hast du schon von dem Totenschiff von Sizilien gehört?»
    Sie schüttelte unwillig den Kopf.
    «Da soll eine Galeere im Hafen eingelaufen sein, nur mit Toten und Sterbenden zwischen den Ruderbänken. Alle voll eitriger, ekliger Beulen und schwarzer Flecken! Und wer noch nicht hinüber war, der hat gebrüllt vor Schmerz. Du bist doch die Frau vom Wundarzt – was kann das für eine Krankheit sein?»
    «Wer erzählt so was?»
    «Ich hab’s von Meisterin Margarete, der Siechenmutter im Spital.»
    «Affengeschwätz!» Sie machte eine abwehrende Handbewegung. Immer wieder hörte man von tödlichen Pestilenzen in fernen Ländern, und die Leute schienen sich regelrecht zu ergötzen an dem Grauen.
    «Außerdem ist dieses Sizilien weit weg von uns», fügte siehinzu, ohne es selbst genau zu wissen. Jetzt bereute sie, bei dem schwatzhaften Karrenbäcker angehalten zu haben. Erst im letzten Sommer hatte er auf dem Markt verbreitet, dass es in einem Land namens China giftige Würmer und Eidechsen gehagelt habe und dass hernach Feuerbälle groß wie Menschenköpfe vom Himmel gefallen seien. Wer nicht gleich tot umfiel, habe tagelang Blut gespuckt, unter qualvollen Krämpfen. Und durch den Gestank der Leichen sei das gesamte Land mit giftigen Dämpfen überzogen worden. Sie hatte bislang immer die Ohren vor diesen Geschichten verschlossen, doch mit Benedikts Traum heute Morgen fühlte auch sie plötzlich so etwas wie Angst in sich aufsteigen.
    Sie starrte auf die knusprigen Spitzwecken in ihrem Korb. Der Appetit war ihr jedenfalls gründlich vergangen.

Kapitel 2
    D as Angelusläuten vom Hauptturm der Pfarrkirche Unserer Lieben Frau verkündete den Feierabend. Im letzten Tageslicht, das durch das offene Tor der Werkstatt drang, prüfte Benedikt noch einmal das Stück, das er heute, gerade noch rechtzeitig, fertiggestellt hatte. Mit dem Frosteinbruch nämlich würde die Arbeit auf der Baustelle ruhen, mindestens bis zum Lenzmonat, und viele der auswärtigen Handwerker würden nun zu ihren Familien heimkehren und sich dort ihr Brot verdienen.
    Fast zärtlich strichen seine Finger über den kühlen Stein und zeichneten die geschwungenen Linien der eichenlaubförmigen Blattknospe nach. Jetzt musste nur noch ein Loch für den eisernen Bolzen in die Stoßfläche geschlagen werden, dann konnte das Stück in die Helmkante des Turms eingefügt werden.
    Schon etliche dieser Krabben, die nun Portale, Gesimse und Kapitelle zierten, hatte er aus dem roten Sandstein gehauen. Dazu Maßwerk für die Spitzbogenfenster, Kreuzblumen und andere Schmuckelemente für die Erneuerung der Seitentürme, die den Chor der Pfarrkirche flankierten. Die beiden Türme sollten der Schönheit des Hauptturms angeglichen werden, der im Jahr von Benedikts Geburt zum Abschluss gebracht worden war, nach den Plänen des Erwin von Steinbach, dem Baumeister der berühmten Straßburger Kirche.
    Benedikt war mit dabei gewesen, als man begonnen hatte, die uralten Chortürme aufzustocken. Als Hüttendiener, wie man hier den Lehrknaben nannte, hatte er einst den Staub gekehrtund Handlangerdienste geleistet. Hatte später dann die rohen Blöcke, die auf Ochsenkarren hergeschleppt wurden, mit der Spitzhacke grob zurechtgehauen oder mit dem Hundezahn die Bossen abgearbeitet. Bis man ihn endlich eigenständig die Werksteine bearbeiten ließ, zunächst als einfacher Steinmetz für Bauquader und Profilsteine, später dann als Laubwerkmacher.
    Noch waren die beiden Seitentürme hinter Gerüsten, Leitern und Seilzügen verborgen, doch Benedikt schlug jetzt schon das Herz bei dem Gedanken an den Augenblick, wo sie sich als würdige Begleiter des wohl schönsten und bislang höchsten Kirchturms auf Erden offenbaren würden. Schwerelos und kühn ragte
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