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Der Pestengel von Freiburg

Der Pestengel von Freiburg

Titel: Der Pestengel von Freiburg
Autoren: Astrid Fritz
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der Krambuden und Verkaufsstände geöffnet, die sich wie Perlen an einer Schnur auf der Straßenmitte aneinanderreihten. Es ging gemächlich zu, undan den friedlich plätschernden Brunnen trafen sich die Frauen zum Klatsch und Tratsch.
    Auch wenn einem das Weibergeschwätz zu viel werden konnte, liebte Clara diesen Gang zum Markt, zumal an einem Morgen wie heute mit seiner frostklaren Luft. Den Nachmittag würde sie wieder Heinrich bei seinen Krankenbesuchen begleiten und Stunde um Stunde in stickigen Kammern verbringen. Doch auch das tat sie gern, seit einigen Jahren schon, denn sie gehörte nicht zu den Frauen, die ihr Regiment auf das Reich zwischen Küche, Gemüsegarten und Hühnerstall beschränken mochten. «An dir ist ein halber Wundarzt verlorengegangen, schade nur, dass du eine Frau bist», neckte ihr Mann sie manchmal und nahm doch gern ihren Rat bei der Krankenvisitation an. Schlimm an seinem Handwerk war nur, dass es ab und an so abscheuliche Vorkommnisse gab wie heute der tote Säugling.
    Unwillkürlich schwenkte ihr Blick hinüber zum Heilig-Geist-Spital, das an der Großen Gass einen gesamten Straßenblock einnahm und von den Bürgern nur Reiches Spital genannt wurde, seiner zahlreichen Besitztümer und der prächtig ausgestalteten Fassade wegen. Dort im Gewölbekeller frönten nun ihr Mann und dieser fettleibige Filibertus Behaimer, seines Zeichens Stadtmedicus wie auch gräflicher Leibarzt, ihrer traurigen Aufgabe. Wie immer würde Heinrich die Schmutzarbeit machen. Er würde den kleinen Leichnam auf tödliche Wunden untersuchen, währenddessen der studierte Physicus in gehörigem Abstand die anwesenden Ratsherren mit seinen spitzfindigen Erörterungen überschüttete. Clara wusste jetzt schon: Für den Rest des Tages würde ihr Mann mürrisch und schweigsam bleiben.
    Seitdem Heinrich im letzten Jahr vor dem Rat der Stadt zumgeschworenen Wundarzt vereidigt worden war, musste er nicht nur regelmäßig zur Beschau der Aussätzigen ins Gutleuthaus, sondern auch, als Behaimers rechte Hand gewissermaßen, zu den gerichtlich angeordneten Wundbesichtigungen und Leichenschauen. Mal waren es arme Seelen, denen der Schädel zertrümmert, die Augen ausgestochen oder die Brust aufgeschlitzt worden war, dann wieder wurde er zu halbtoten Delinquenten in die Verliese der Stadt gerufen. Nach vollzogener Marter hatte er deren Wunden genauestens zu protokollieren, ohne sie behandeln zu dürfen. Letzteres nämlich war Sache des Scharfrichters.
    Zwar bescherte ihnen dieses Amt ein stattliches Zubrot auf ihre Einkünfte, nämlich zweieinhalb Pfund Pfennige Freiburger Münze und ein Fuder Holz auf jede der vier Fronfasten, aber Clara hätte darauf gut und gerne verzichtet. Zu schwer lagen ihrem Mann diese Pflichten auf der Seele.
    Während sie weiterging, grüßte sie geistesabwesend nach links und rechts, wich geschickt der Steirer Elsbeth aus, die einem mit ihren vielen Zipperlein die Ohren vollzujammern pflegte, und beeilte sich, ihre Einkäufe zu erledigen. Sie wollte noch zum Apotheker. Jetzt, am frühen Morgen, würde Christoffel Ceste noch die Zeit haben, eine neue Rezeptur zur Gichtbehandlung durchzusprechen. Sie mochte Meister Christoffel, der seine Kräuter selbst zog, in einem Apothekergärtchen vor der Stadtmauer. Und sie mochte die kleine, freundliche Apotheke in der Salzgasse, in der es immer so herrlich nach Gewürzen, Rauchwerk, Marzipan und Parfüm duftete. Ordentlich aufgereiht standen Heiltränke und Pulver, Pillen und Salben auf Regalen bis unter die Decke, verstaut in bunten Krügen oder in hübsch bemalten hölzernen Dosen und Kästchen.
    Als Clara die Laube der Geldwechsler passierte, sah sie, wieMoische ben Chajm zusammen mit Eli und Jossele, seinen beiden Jüngsten, ein schadhaftes Brett an ihrer Schranne austauschte. Jemand musste es in übelster Weise mit einer Spitzhacke malträtiert haben, denn das Holz war an mehreren Stellen gespalten. Clara wollte schon vorbeieilen, als ihr erst die Knaben fröhlich zuwinkten, dann der Vater den Kopf hob.
    «Clara!», rief er und richtete sich auf. An seinem abgewetzten dunklen Mantel, der viel zu weit war für den schmächtigen Körper, hingen Eiskristalle und Holzspäne. «Gut, dass ich dich treffe.»
    Sie trat näher. «Was ist denn mit eurer Bank geschehen?»
    «Ein dummer Bubenstreich, nichts weiter.» Moische verzog sein bärtiges Gesicht zu einem Lächeln und nahm drei Silberpfennige aus einer Schatulle. «Das schuld ich noch deinem lieben Mann für
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