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Der Kuss des Verfemten

Der Kuss des Verfemten

Titel: Der Kuss des Verfemten
Autoren: Susan Hastings
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Erstes Kapitel
    Es war ein feuchter, kalter Morgen, und dünne Nebelschleier lagen über den Wiesen, als sich das große Tor des Klosters St. Martin öffnete. Die Soldaten, die bis dahin vor dem Kloster gelagert hatten, erhoben sich mit steifen Gliedern. Zwei Nonnen führten ein Pferdegespann hinaus auf die unbefestigte Straße. Auf dem Wagen, der mit einigen Körben und Truhen beladen war, saßen zwei junge Frauen, züchtig in dunkelblaue Umhänge gehüllt.
    Die Äbtissin trat neben den Wagen. »Nun seid Ihr wieder eine Hoheit, Isabella. Das weltliche Leben erwartet Euch.«
    Die Angesprochene neigte ihren Kopf, und blondes Haar fiel aus der Kapuze des Umhanges auf ihre Schulter. »Ich werde Sie vermissen, Mutter Dolorosa. Sie und alle Schwestern, die mein Leben hinter diesen Mauern teilten. Ich wäre gern für immer hiergeblieben. Doch ich muss meinem Vater Gehorsam leisten, wie es meine Pflicht ist. Ich werde Sie niemals vergessen.«
    In einer Anwandlung von Rührung ergriff die Äbtissin Isabellas Hand. »Gott sei mit dir, mein Kind«, flüsterte sie, »und beschütze dich vor dem rauen Leben und der Grausamkeit der Männer.« Dann drehte sie sich um und verschwand mit gesenktem Kopf hinter dem Klostertor.
    Die Soldaten hatten ihre Pferde bestiegen und sich zu einer Begleiteskorte formiert. Der Hauptmann trat an den Wagen heran und salutierte. Er beorderte einen der Soldaten als Kutscher auf den Wagen mit den beiden Frauen, die es sich nun zwischen den Körben und Truhen so bequem wie möglich machten.
    Mit bangem Gesicht schaute Isabella sich um.
    »Wie groß die Welt ist«, sagte sie schaudernd und warf einen sehnsüchtigen Blick auf das alte Kloster, das hinter ihnen immer kleiner wurde. Ihre Hand krallte sich an den Rand des Wagens. »Ich fühle mich haltlos. Im Kloster war alles so einfach, geregelt, familiär. Ich weiß doch gar nicht, was mich erwartet.«
    »Freude wird Euch erwarten, Isabella«, erwiderte die andere junge Frau, die um wenige Jahre älter schien als Isabella. Ihre feuerroten Locken hatte sie mit mehreren Bändern zu einem langen Zopf verschlungen. Ihre Nase war übersät mit lustigen Sommersprossen, und in ihren braunen Augen leuchteten goldene Pünktchen wie kleine Sterne. »Freude über Eure Heimkehr. Und Euer Vater wird Euch in die Arme nehmen. Ist das nicht Grund genug?«
    »Es sind zehn Jahre vergangen, Mathilda. Ich kann mich an meinen Vater kaum noch erinnern. Er war ein stattlicher Mann mit blondem Haar und einem rauschenden Bart, an dem ich als Kind so gern gezupft habe, wenn ich auf seinen Knien saß und er mir von bösen Drachen und mutigen Helden erzählte.« Sie lächelte bei dem Gedanken. »Und an meine Amme erinnere ich mich, die mich getröstet hat, wenn ich mich nachts vor den bösen Geistern fürchtete oder im Garten der Burg auf die Steine gefallen war. Die Burg war sehr groß, gewaltig groß, und innen mit goldenen Gesichtern bemalt.«
    »Es waren keine goldenen Gesichter«, widersprach Mathilda. »Es waren Heilige mit ihrem Schein, auf jeder der Kassetten der Vertäfelung im Prunksaal.«
    Isabella blickte Mathilda an und runzelte die Stirn. Eigentlich stand es Mathilda nicht zu, ihrer Herrin zu widersprechen. Mathilda war die Tochter eines Ritters des Herzogs und aufgrund ihres lieben Wesens bereits als kleines Kind für die einsame Isabella als Zofe und Gefährtin bestimmt worden. Sie war drei Jahre älter als Isabella und damit schon verständig genug, an ihrer Seite zu sein. Im Laufe der Jahre wurde Mathilda mehr zur Freundin denn zur Bediensteten der Tochter des Herzogs, zumal Isabella allein in der großen Burg ihres Vaters aufwuchs. Sie hatte keine Geschwister, und ihre Mutter war bald nach ihrer Geburt gestorben. Der Herzog war mit der Festigung seiner Macht gegen benachbarte Fürsten beschäftigt, die immer wieder ein Auge auf das kleine Herzogtum warfen und mit oder gegen den Willen des Kaisers die Finger danach ausstreckten.
    Sehr zum Leidwesen von Herzog Karl August, der sich brennend Söhne als Erben gewünscht hatte, kümmerte Isabella in der Burg dahin, kannte nur die Ritter ihres Vaters oder die Mägde und Knechte. Von den meisten Festlichkeiten war sie ausgeschlossen, lediglich an ein farbenprächtiges Turnier konnte sie sich noch schwach erinnern, ein Turnier der Ritter mit ihren bunten Fahnen, den prächtig gezäumten Pferden, den blinkenden Rüstungen und langen Lanzen.
    Im Alter von sechs Jahren gab Herzog Karl August seine Tochter in die Obhut eines
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