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Fräulein Jacobs funktioniert nicht: Als ich aufhörte, gut zu sein (German Edition)

Fräulein Jacobs funktioniert nicht: Als ich aufhörte, gut zu sein (German Edition)

Titel: Fräulein Jacobs funktioniert nicht: Als ich aufhörte, gut zu sein (German Edition)
Autoren: Louise Jacobs
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Prolog
    Ic h wollte immer Cowboy werden. Ich träume davon, an nichts und niemanden gebunden zu sein. Ich sehne mich nach Schotterwegen, die nie auf eine Kreuzung stoßen, nach so viel Land und Raum, dass ich mich darin verlieren kann. Nichts berauscht mich mehr als die Weite. Da ich in der Schweiz aufgewachsen bin, machte sich die Sucht nach mehr Platz schon früh bemerkbar. Mit vierzehn begann ich davon zu träumen, ein Cowboy zu sein. Damals fühlte ich mich gefangen in Schulpflichten, eingepfercht von einem Zaun aus einem 4000 Meter hohen Bergmassiv, umschlossen von goldenen Gitterstäben. Ich hatte Sehnsucht und träumte von der endlosen Weite jenseits der Schweiz, jenseits des Ozeans.
    Als Cowboy würde ich in einer Blockhütte mitten in der endlosen Weite eines Graslandes leben und zwei, drei Pferde und ein paar Hunde und Schafe besitzen. In meiner Vorstellung wäre ich alleine. Der Wind würde in den Überlandleitungen singen, die hohen Gräser wiegen. Ich würde jeden Tag ausreiten, um meine Rinder auf den Weiden zu besuchen.
    Einmal die Woche würde ich mit einem blauen Chevrolet Truck, der einige rostige Stellen an den Kotflügeln hätte und innen nach Motoröl und Eisenketten röche, die paar Meilen zum Beispiel nach Bozeman, Montana, fahren. AM Radio würde Hank Williams’ Move over good dog cause a mad dog’s movin’ in spielen. Ich käme linker Hand an den alten Traktoren vorbei, würde die Scheune mit dem Feldsteinfundament und dem Tonnendach passieren, da lägen Heubüschel auf der Straßenseite, die der Wind von der Ladefläche eines Trucks gezerrt hatte, und die knallblauen, kleinen Bluebirds würden vom Drahtzaun hüpfen und davonzwitschern. Zu beiden Seiten des Highways würde sich die goldene Talsohle, bedeckt von Licht und Schattenflecken ausbreiten, über mir die Wolkenteppiche im Himmel schweben. Da lägen die Baumschnitte und Eisenreste von altem Farmequipment herum, da würde eine Plastikabdeckung im Wind wabern, und die davon aufgeschreckten Pferde stünden mit geblähten Nüstern am Zaun ihrer Koppel. Dann in Bozeman würde ich beim Leaf And Bean an der Main Street einkehren und in der Lokalzeitung die Anzeigen durchgehen. Da gäbe es den zweiten Heuschnitt – die Tonne zu 100 Dollar – in kleinen Ballen zu kaufen, jemand würde ein ganzes Schwein anbieten – cut and wrapped 320 $ call 388-1989 –, oder ich fände einen gebrauchten »John Deere 4720«-Traktor mit Vorderradantrieb in gutem Zustand. Ich würde mich bei den Arbeitern der umliegenden Farmen über günstigen Stacheldraht und elektrischen Drahtzaun informieren, mich mit Greg vom Zeitungsladen und Meredith vom Postamt unterhalten, würde erfahren, wer geboren und gestorben und wie bei jedem die Ernte ausgefallen war. Dann würde ich an den grasenden Rinderpulks mit Son House oder Lightnin’ Hopkins im Radio wieder zurückfahren und mir ein Roastbeef-Sandwich zum Mittagessen machen. Nachmittags könnte ich die Pferde wieder auf die Koppeln bringen, nach den Hühnern sehen, in meinem Gemüsegarten Unkraut jäten oder zur Auktion fahren, um einen neuen Bullen oder ein Schaf zu ersteigern. Abends säße ich auf der Veranda und würde dem Atem des Windes lauschen. Ich bräuchte nur zwei Paar Jeans, hätte mehrere Hüte und eine Auswahl von karierten Hemden. Meine Hände würden nach dem Leder feuchter Handschuhe riechen, meine Stiefel nach Glyzerinseife.
    Ich müsste nie Hunger leiden, hätte immer ein paar Geldscheine unter der Matratze, würde mich nie einsam fühlen, sondern wäre geborgen in der unendlichen Großzügigkeit der mich umgebenden Natur.
    Meine Reise in diesen Mythos, dorthin, wo eine eigene Gesetzgebung und ungezähmte Elemente herrschen, beginnt mitten in Europa. Genauer: in der Schweiz, am Ufer eines Sees mit Blick auf einen Sendeturm.

Erster Teil IM TOBEL
    1
    Ic h bin ein Kind aus dem Schlaraffenland, aus einem kleinen geographischen Wunder, das einst nur ein Fleck Land mitten im Heiligen Römischen Reich war. Doch dieses Land wurde von mutigen Vätern befreit und zur Schweizerischen Eidgenossenschaft ausgerufen. Heute gibt es in der Schweiz die beste Schokolade, der Lack der Autos glänzt hier am schönsten, die Straßen sind immer gesaugt und gefegt, wir haben die idyllischsten Blicke über See und Alp, und unsere Uhren gehen am genausten. Tag für Tag, Jahr für Jahr ist das so, seit dem Apfelschuss von Wilhelm Tell.
    Ich bin in meinem Leben fast nie zu etwas gezwungen gewesen. Meine Familie
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