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Der Pestengel von Freiburg

Der Pestengel von Freiburg

Titel: Der Pestengel von Freiburg
Autoren: Astrid Fritz
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sie in der Eingangshalle geraume Zeit warten ließ, ohne sie in eine der warmen Stuben zu bitten. Clara bereute schon, dass sie mitgekommen war.
    Als der Hausherr endlich erschien, warf er Clara einen spöttischen Blick zu. Sein Aufzug   – Morgenmantel und nackte Füße in feuerroten Filzpantoffeln – verriet, dass er zu dieser späten Stunde noch keinen Fuß vor die Haustür gesetzt hatte. Behaimer war klein und fast schon fett zu nennen. Mit seinem runden, nur von einem schmalen grauen Haarkranz umgebenen Schädel, der ohne Hals aus den Schultern zu wachsen schien, und dem bartlosen, breiten Gesicht, dessen Wangenfleisch schlaff nach unten zu einem ebenfalls kugelrunden Kinn sank, erinnerte er Clara immer an einen dieser Wasserspeier an der Pfarrkirche. Außerdem hatte er einige seltsame Angewohnheiten. So etwa schüttelte er, wenn er seinem Gegenüber zuhörte, sofern er das überhaupt länger als drei Atemzüge lang tat, ohne zu unterbrechen, immerfort den Kopf. Gleichsam als ob er das Gesagte von vornherein verneinen wollte.
    «Also, mein braver Chirurgus – was gibt’s?» In Behaimers Mundwinkeln hingen Reste von gebratenem Ei.
    «Der neue Aderlasskalender.»
    «Reichlich spät kommst du, reichlich spät. Du weißt, dass du ohne das neue Kalendarium nicht zur Ader lassen darfst. Die livores venena können nur dann dem Körper vollständig entzogen werden, wenn der Zeitpunkt präzis getroffen ist.»
    «Vor drei Tagen hattet Ihr ihn noch nicht fertig», erwiderte Heinrich ungerührt.
    «So?» Behaimer hielt mit dem Kopfschütteln inne. «Wie dem auch sei – ich brauche dich morgen auf dem Schloss. Der alte Graf leidet an einem Abszessus an seinem gräflichen Hinterteil. Halt dich also bereit.»
    Er verschwand hinter einer der Türen und kam mit einer Papierrolle zurück.
    «Hier. Studier sie gut, die neuen Vorgaben.»
    Mit einem Kopfnicken nahm Heinrich die Rolle entgegen und steckte sie in sein Lederetui. Clara wusste, dass Behaimer, der mit den artes liberales auch die Astrologie studiert hatte, großen Wert darauf legte, alljährlich die Mondphasen und den Lauf der Gestirne neu zu berechnen. Diese Berechnungen hatte Heinrich dann umgehend auf seine Tafel mit dem Aderlassmännchen zu übertragen, die zu Hause in der Wohnstube hing und nach der sich Bader und Wundärzte zu richten hatten. Für jede Krankheit gab es die richtige Ader, jeder Körperteil war einem Tierkreiszeichen zugeordnet, und so schrieb der astrologische Kalender die günstigsten oder ungünstigsten Zeitpunkte beim Venenschlagen vor. Heinrich allerdings gab keinen Pfifferling auf die «hochwissenschaftlichen» Berechnungen seines Vorgesetzten, sondern verließ sich lieber auf seinen eigenen Verstand und Erfahrungsschatz.
    Clara bemerkte, wie Behaimer sie durchdringend musterte.
    «Du begleitest also deinen Mann wieder mal bei den Krankenbesuchen?»
    «Spricht was dagegen?», gab sie schnippisch zurück.
    «Nun – ich meine, eine anständige Frau sollte bei ihrer Haushaltung bleiben.»
    «Das lasst nur meine Sache sein.»
    «Da geht es um mehr. Heinrich hat einen guten Ruf als Chirurgus.» Sein Schädel begann wieder zu pendeln. «Einen sehr guten. Gerade als Arzt indessen ist so eine Reputation eine äußerst fragile Sache.» Sein Blick wurde strenger. «Zwei, drei Behandlungsfehler – ein Verletzter, der krepiert, ein tödlicher Wundbrand   –, und Heinrichs Ruf ist ruiniert. Und das nur, weil du deinem Mann oder gar mir in die Kur pfuschst. Auch auf dem Feld der Laienmedizin sollte sich nicht jeder tummeln dürfen.»
    «Statt meine Frau zu schmähen», sagte Heinrich ruhig, «könntet Ihr lieber all diesen Winkel- und Stümperärzten auf die Finger sehen, die an den Markttagen in die Stadt strömen. Jeder Quacksalber, jeder fahrende Schwachkopf kriegt doch seine Lizenz, wenn es nur das Stadtkässlein füllt.»
    «Ich warne dich, Heinrich. Gib acht, was du sagst. Sonst bist du längstens geschworener Wundarzt gewesen.»
    Nur mit Mühe konnte Clara ihren Zorn unterdrücken, und sie war froh, dass Heinrich sie beim Arm nahm und nach einem knappen Gruß mit ihr das Haus verließ.
    «Dieser Pissprophet, dieser Maularzt!», stieß sie hervor, als sie sich auf den Weg in die Hintere Wolfshöhle machten. «Außer Pulsmessung und Urinschau kann der doch rein gar nichts.»
    «Dafür weiß er, was in den Büchern Galens und all dieser Astrologen steht. Das beeindruckt die hohen Herren weit mehr, als wenn er Eiterbeulen aufstechen
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