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Der Nobelpreis

Der Nobelpreis

Titel: Der Nobelpreis
Autoren: Andreas Eschbach
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unverblümt, er sei ein hoffnungslos altmodischer Idealist mit einem gehörigen Sprung in der Schüssel. Trotzdem – oder gerade deswegen – hatte Hans-Olof erwartet, dass sein Bericht bei ihm höchste Empörung auslösen würde.
    »Ich weiß nicht«, bekannte er. »Ich bin davon ausgegangen, dass es Regeln für solche Fälle gibt. Maßnahmen.«
    »Sie meinen Disqualifizierung?«
    »So ungefähr. Als letzte Konsequenz, natürlich.«
    Thunell klopfte mit seinen Zeigefingern gegeneinander, während er nachdachte, kleine, nervöse Bewegungen, und hörte wenig später wieder damit auf, offenbar, weil er zu einem Entschluss gelangt war. »Wie lange sind Sie schon am Karolinska, Hans-Olof?«, fragte er.
    Obwohl Hans-Olof Professor war und im normalen Leben alles andere als ein Wunder an Geistesgegenwart, diese Auskunft konnte er jederzeit leicht geben. Er brauchte nur zum Alter seiner Tochter fünf Jahre dazuzuzählen, das war der Trick.
    »Im August waren es neunzehn Jahre.«
    »Aber Sie waren noch nie im Komitee, soweit ich mich entsinne, oder?«
    »Nein.« In das Nobelkomitee, jenes fünfköpfige Gremium, das die eigentlichen Vorarbeiten für die Abstimmung leistete, musste man von den übrigen Mitgliedern der Versammlung gewählt werden. Dazu war es in seinem Fall aus irgendeinem Grund nie zuvor gekommen.
    »Dann muss ich Ihnen jetzt zunächst einmal etwas über die Arbeit im Komitee erzählen.« Thunell faltete die Hände und richtete den Blick in eine der oberen Zimmerecken. »Wenn wir uns Anfang Februar die Liste der Nominierungen ansehen, ist die erste Frage, die wir uns stellen, nicht die, wer von denen, die darauf stehen, den Preis verdient hat. Den Preis verdient haben viele, das wissen Sie so gut wie ich. Nein, die erste Frage, die wir uns stellen, ist: Warum ist dieser Mann oder diese Frau nominiert worden? Von wem? Und warum? Was verspricht sich der Nominierende davon? Ist die Nominierung vielleicht eine Gefälligkeit? Gibt es Verbindungen, von denen wir nichts wissen? Kontakte zu den Gutachtern? Und so weiter und so weiter. Die Frage der Einflussnahme stellt sich von Anfang an. In gewisser Weise ist sie sogar in unser System eingebaut, dadurch, dass jeder ehemalige Nobelpreisträger Kandidaten nominieren darf. Eine Regel, die die Inzucht fördert, nicht wahr? Statistisch gesehen hat jemand, der mit einem Nobelpreisträger zusammenarbeitet, deutlich größere Chancen, den Nobelpreis einmal selber zu bekommen. Dessen müssen wir uns bewusst sein. Zudem arbeiten heutzutage viele hervorragende Wissenschaftler nicht mehr in staatlichen Einrichtungen, sondern in der Industrie, in Laboratorien, die von multinationalen Konzernen betrieben werden. Es ist klar, dass Firmen ein Interesse daran haben, jemanden aus ihren Reihen auf dem Siegerpodest zu sehen, und natürlich versuchen sie jene Art von Lobbyarbeit, die ihnen gegenüber Parlamenten und Regierungen Vorteile verschafft, auch bei uns zu betreiben.« Er richtete den Blick wieder auf Hans-Olof und schenkte ihm ein kaltes Lächeln. »In der Regel ohne Erfolg.«
    Hans-Olof sah sein Gegenüber nicht ohne Bestürzung an. Das klang alles, als führe der Vorsitzende des Nobelkomitees solche Gespräche jeden Tag. »Der Mann wird es bei jemand anderem versuchen«, sagte er. »Irgendjemand wird das Geld womöglich sogar nehmen.«
    »Mag sein.« Thunell beugte sich vor, kniff dabei die Augen leicht zusammen, ein abschätziger, listiger Blick. »Nebenbei gefragt, warum haben Sie es eigentlich nicht genommen?«
    »Ich?« Hans-Olof schnappte nach Luft.
    »Wenn Sie, wie Sie sagen, ohnehin vorhatten, für Hernández zu stimmen, hätten Sie es doch ohne schlechtes Gewissen nehmen können. Schließlich wäre Ihre Entscheidung dadurch ja nicht beeinflusst worden. Und drei Millionen Kronen, zumal steuerfrei, sind ein schöner Batzen Geld, würde ich sagen.«
    Hans-Olof merkte, dass seine Hände sich um die Lehnen des Stuhls gekrallt hatten, auf dem er saß. »Herr Kollege, ich versichere Ihnen, dass ich das nicht eine einzige Sekunde lang erwogen habe«, erklärte er mit gepresster Stimme. »Die Reputation und Integrität des Nobelpreises sind mir heilig.«
    »Heilig, so so«, meinte Thunell. Er atmete scharf ein, lehnte sich zurück, das Kinn auf die wie zum Gebet zusammengeführten Hände stützend, und verharrte eine ganze Weile so, ohne etwas zu sagen.
    »Ich hoffe, Sie glauben mir«, sagte Hans-Olof schließlich, als er die Stille nicht länger ertrug.
    Thunell nickte
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