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Der Nobelpreis

Der Nobelpreis

Titel: Der Nobelpreis
Autoren: Andreas Eschbach
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sang irgendetwas Getragenes. Als die Leute ringsum aufstanden, erhob sich auch Hans-Olof, warf im Aufstehen noch einmal einen Blick hinüber zu Bosse Nordin und bemerkte zu seinem Erstaunen, dass dieser gerade auf ihn zeigte und der hagere Mann mit den Fischaugen verstehend nickte.
    Um nicht erneut den Zorn der Frau aus der Studentenverwaltung zu provozieren, schwenkte Hans-Olof den Blick sofort wieder nach vorn zum Altar, aber dann wendete er den Kopf doch noch einmal neugierig zur Seite. Die beiden standen da, sahen voller Ernst zum Kreuz hinauf und sangen so halbherzig mit, wie die meisten Leute es in Kirchen eben tun. Nichts deutete darauf hin, dass sie ihn auch nur bemerkt hatten.
     
    Nachdem alles überstanden war, fuhr Hans-Olof auf dem Weg zurück absichtlich ein paar Umwege, erwog, irgendwo einen Kaffee zu trinken, ließ es dann aber bleiben, nahm schließlich die Zufahrt über den Tomtebodaweg und parkte vor dem Berzelius-Bau, hinreichend weit weg vom Nobelforum, um nicht Gefahr zu laufen, irgendwelchen Presseleuten vor die Mikrofone zu geraten. Es grenzte ohnehin an ein Wunder, dass die Medien sich so zurückhielten, anstatt den Tod dreier stimmberechtigter Mitglieder der Nobelversammlung wenige Tage vor der Abstimmung als Sensation auszuschlachten.
    Auf dem Campus war wenig los. Studenten standen beisammen, hatten Aktentaschen oder Bücherstapel unter dem Arm, redeten, rauchten, lachten. Das Leben ging weiter.
    Genau wie es damals weitergegangen war, als Hans-Olof aus dem Krankenhaus heimgekehrt war und Inga nicht.
    Er nahm den Weg an den Gästehäusern vorbei, einen Schleichpfad zwischen Müllcontainern und einem Tank für flüssigen Stickstoff hindurch, der von hinten her zum Pharmakologischen Institut führte. Einst war das ein normaler Zugang gewesen, aber in den letzten Jahren hatte man begonnen, zwischen den Gebäuden Behelfsbauten aus Containern aufzustellen. Sie waren mit rotem Holz umschalt, ein Versuch, das Ziegelrot der altehrwürdigen Mauern ringsum zu imitieren, doch sie wirkten trotzdem nur wie wissenschaftliche Legebatterien. Auf den verbliebenen Wegen dazwischen kamen zwei Personen nur noch mit Mühe aneinander vorbei.
    An dem Geländer am Südeingang war ein Fahrrad festgekettet, inzwischen seit über einer Woche. Jemand – der Hausmeister vermutlich – hatte einen Zettel daran befestigt, dass hier das Abstellen von Fahrrädern nicht erlaubt sei und dieses Rad in Kürze entfernt werden würde, wenn sein Besitzer dem nicht zuvorkäme. Es war ein neuwertiges Fahrrad; es fiel schwer, sich vorzustellen, dass es einfach vergessen worden war.
    Hans-Olof nestelte seine Ausweiskarte aus der Tasche, die ihm in Verbindung mit dem aktuellen Zugangscode die Tür öffnen würde, und las dabei die übrigen Bekanntmachungen, die von innen an das Glas der Türe geklebt waren. Die Hälfte davon beschäftigte sich mit Verlegungen oder Absagen angekündigter Vorlesungen aus Anlass der drei Todesfälle.
    »Professor Andersson?«, fragte in diesem Augenblick jemand hinter ihm. »Kann ich Sie bitte einen Moment sprechen?«
    Hans-Olof fuhr herum. Wie aus dem Boden gewachsen stand da ein Mann in einem dunkelgrauen Wettermantel, mit einem Lederkoffer in der Hand.
    »Wie bitte?« Er rückte seine Brille zurecht. Im nächsten Moment fiel ihm wieder ein, woher er das Gesicht kannte.
    Es war der Mann, der in der Kirche mit Bosse Nordin gesprochen hatte. Der Mann mit den Fischaugen.

KAPITEL 4
    »Mich sprechen?«, wiederholte Hans-Olof, während er den Mann ansah, zu verstehen versuchte, was das alles bedeutete, und ihn ein zunehmend ungutes Gefühl beschlich. »Warum? Ich meine, worum geht es?«
    Der Mann verzog keine Miene. »Das lässt sich nicht in zwei Sätzen sagen.« Er hob den Koffer leicht an. »Ich muss Ihnen dazu etwas zeigen.«
    »Ich habe jetzt aber keine Zeit.« Seine Standardausflucht. Bei Studenten funktionierte sie immer. »Lassen Sie sich von meiner Sekretärin einen Termin geben.«
    »Es dauert nur ein paar Minuten«, beharrte der Mann mit den weit auseinander stehenden Augen. »Und es ist äußerst dringend.«
    Hans-Olof Andersson schnaubte entrüstet. »Ich kann doch nicht einfach … Bloß weil Sie daherkommen und behaupten …«
    Er hielt inne. Irgendwie war er sich plötzlich sicher, dass der Mann nicht weggehen würde, egal was er sagte. »Wer sind Sie überhaupt?«, fragte er.
    »Mein Name ist Jon Johansson.« Später sollte Hans-Olof berichten, dass schon in der Art, wie der Fremde diesen
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