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Der Neid eines Fremden

Der Neid eines Fremden

Titel: Der Neid eines Fremden
Autoren: Caroline Graham
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Sie packten ihn auf den Sitz neben der Polizistin. Zwei Landrover kamen an und parkten hinter ihnen. Einige Männer sprangen heraus. Durch den Außenspiegel beobachtete Leo, wie sie auf den Sergeanten zugingen. Sie standen zusammen, berieten sich und schienen keineswegs in Eile zu sein. Der Scharfschütze steckte seinen Kopf gleich neben Leo durch das Fenster. Er war unrasiert und hatte ein bitteres, pockennarbiges Gesicht. Sein Atem roch nach abgestandenem Bier und Zigaretten. Leo sah ihn an: Sein eigenes Glück und das seiner Kinder hing von der Geschicklichkeit eines Mannes ab, den er nie zuvor gesehen hatte. Er meinte, etwas sagen, den Mann anflehen zu müssen. Wollte ihm alles bieten, was er besaß, sein Leben ...
      »Wie ist der Hintereingang zu Ihrem Haus beschaffen, Sir?«
      »Hoffnungslos. Ein offener Garten, es gibt keine Deckung, und Sie würden vom angrenzenden Garten über eine Mauer hineinklettern müssen.«
      Warum war es nicht Abend? Dann hätte der Mann mit Leichtigkeit direkt auf das Haus zugehen können. Oh, warum hatte er sie alleingelassen?
      »Stehen irgendwelche Fenster offen?«
      »Ich glaube nicht.« Er sah Rosa mit einer Klinge am Hals gegen eine Wand stehen. «Worauf warten Sie noch?«
      »Jetzt auf nichts mehr. Sie haben die Straße an beiden Enden abgesperrt. Die Leute vom Haus vertrieben. Eine Menschenmenge ist sehr verräterisch. Könnte ich bitte Ihre Schlüssel haben, Mr. Gilmour?«
      »Ich hab' ihn reingelassen, wissen Sie?« sagte Leo, als er sie ihm reichte. »Ich habe die Tür geöffnet und ihn hereingebeten. Ich habe so nah vor ihm gestanden wie jetzt vor Ihnen. Ich hab' ihn mit ihr allein gelassen. Ich habe meine Frau mit einem verdammten Verrückten mit einem Messer allein gelassen. Haben Sie das gewußt?« Der Scharfschütze ging davon. Er wandte sich an die Polizistin und packte sie am Arm. »Haben Sie das gewußt?« Sein Gesicht war eine Maske der Angst, mit der er sie bat, ihn zu beruhigen, ihn nicht zu verurteilen.
      »Barrett ist einer der Besten, Mr. Gilmour. Der Mann wird ihm nicht entwischen.«
      »Das wird er bestimmt nicht.« Leo lehnte sich zurück und schloß die Augen.
     
    Er stand mit dem Rücken zu ihr, als sie in die Diele kam, wandte sich aber um, als er ihre Schritte hörte, nahm seine Polizeimütze ab und trat auf sie zu.
      »Ich frage mich, ob Sie einen Kaffee ...« Der Rest des Satzes blieb ihr im Hals stecken. Das Winterlicht fiel durch das bunte Glas, warf blasse karminrote und indigoblaue Flecken auf sein Gesicht, schien die bronzefarbene Aureole seines Haars in Brand zu setzen, so daß er wie irgendeine gräßliche, mittelalterliche Symbolfigur aussah, die Seuchen, Pest und Tod brachte.
      »Hallo, Rosa.« Er triumphierte. Das meinte sie förmlich riechen zu können. »Wie du siehst, bin ich jetzt hier. Wie ich es versprochen habe.«
      Sie standen da und fixierten sich aus einem Abstand von knapp zwei Metern. Zunächst konnte sie nichts sagen, stand einfach da und starrte ihn an. Die ganze Nacht hatte sie Bilder von ihm und ihrem Zusammentreffen vor Augen gehabt. Sie hatte sich ihn immer ein wenig abgerissen, in der schwarzen Lederbekleidung der Punks und mit einem käsigen, bösartigen Gesicht vorgestellt: ein mickriger Mann, der von einer gefährlichen, hochexplosiven Mischung aus Neid, Haß und Dummheit angetrieben wurde. Doch er war groß und schlank, und die Schultern unter seiner Uniformjacke waren breit. Er konzentrierte sich vollkommen auf ihre Person. Er hatte sich herangeschlichen, und jetzt, da sie in der Falle saß, wartete er im ruhigen Vertrauen auf seine Belohnung. Seine Ruhe war bemerkenswert. Er schien ewig Zeit zu haben.
      So stark war die Autorität, die er ausstrahlte, daß sie fast selbst an die Rechtmäßigkeit seines Anspruchs zu glauben begann. Sie spürte, daß sie anstelle von Wut und Angst eine heimtückische, an Verzweiflung grenzende Trägheit überfiel. In ihrer Haltung drückte sich vollkommene Ergebenheit aus. Seine Nähe wirkte wie Novocain, betäubte jeglichen Widerstand. Fast war sie erleichtert, daß alles bald vorbei sein würde. Sie fragte sich, wer sie eigentlich war, daß ein solcher Aufruhr um sie gemacht wurde. Nichts als ein vergängliches Bündel von Atomen. Eine Frau mit einer trivialen Radiosendung, die das Buch, das sie schreiben wollte, niemals zu Ende gebracht hatte. Jetzt schien es ihr, als würde ihr Tod kaum Aufregung verursachen. Die Kinder würden eine Weile
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