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Der Neid eines Fremden

Der Neid eines Fremden

Titel: Der Neid eines Fremden
Autoren: Caroline Graham
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Sonnenuntergänge verschwinden. Er hatte den atavistischen Wunsch, sich zu bewaffnen: eine Keule oder eine Waffe zu haben und sich zwischen sie und die Gefahr zu stellen. Er war entsetzt, wie nah an der Oberfläche diese Gefühle waren; sie schienen sich gleichsam unter der Schutzhülle der alltäglichen Abläufe zu bilden, während er die Times las, mit seinen Kollegen kultiviert zu Mittag aß oder sich am Ende des Tages zusammen mit Rosa entspannte.
      Er wußte, daß die Polizei in der Nähe sein würde, doch sie würden sich nicht bis auf Sichtweite heranwagen können, da das ganze Unternehmen dann keinen Zweck hätte. Wenn er schnell war, könnte sie tot sein, bevor sie ihn schnappten. Und die Tatsache, daß er sich um das Risiko einer Festnahme nicht bekümmerte (bei Verrückten war das selten der Fall), brachte ihn in eine günstige Position. Zudem war nicht sicher, welche Waffe er benutzen würde. Vielleicht würde er diesmal kein Messer wählen. Er könnte scharfe Munition benutzen, sich irgendwo verstecken und darauf warten, sie abzuknallen. Er würde sich vielleicht monatelang verstecken, und dann, wenn sie ihn fast schon vergessen hatten, eine Sprengladung in ihrem Wagen deponieren. Er könnte - es klingelte an der Haustür.
      »Ich geh schon.« Er tupfte seinen Mund mit einer Serviette ab und stand auf. »Es wird die Polizei sein.«
      Rosa sah ihm hinterher, schubste Madgewick auf den Boden, stand auf und begann ein Gedeck auf den Tisch zu stellen. Wer immer es auch sein mochte, würde vielleicht einen Kaffee trinken wollen oder war es nicht erlaubt, im Dienst zu trinken? Diese Regel galt bestimmt nur für Alkohol. Sie hörte, wie Leo die Haustür öffnete und holte aus dem Brotkasten ein Croissant. Einen Moment später kam Leo in seinem Mantel zurück. Er stand abwartend in der Tür, wußte, was sie vereinbart hatten, wollte aber nicht gehen.
      »Ich laß dich nicht gern allein.«
      »Liebling, ich werde mich viel besser fühlen, sobald ich weiß, daß du die Kinder abgeholt und dich auf den Weg gemacht hast. Außerdem habe ich ja die Blüte der Polizei zum Schutz da.«
      »Eher eine Knospe als eine Blüte. Was hat es zu bedeuten, daß die Polizisten immer jünger werden?«
      »Daß wir immer älter werden. Sieh dich doch an« - sie ging auf ihn zu und berührte leicht seinen Backenbart, als er sie in die Arme nahm -»grau wie ein alter Mann.«
      Einen Augenblick blieben sie regungslos stehen. Trotz der körperlichen Nähe war ihre Umarmung seltsamerweise kaum erotisch. Leo kam es vor, als halte er ein verlassenes Kind in den Armen, hätte aber nicht sagen können, ob er das Kind oder sich selbst trösten sollte. Schließlich lösten sie sich voneinander, hielten sich aber noch an den Händen.
      »Ich hab' die Kaffeemaschine angestellt. Falls sie einen Kaffee wollen.«
      »Es ist nur ein männlicher Beamter.«
      »Oh. Ich hab' gedacht, es würde auch eine Polizistin kommen.«
      »Ich nehme an, sie wird bald eintreffen. Na dann ...« Er rührte sich nicht von der Stelle.
      »Hör zu. Ich werde jetzt gehen und eine saubere Kaffeetasse und eine Untertasse aus dem Eckschrank holen, und wenn ich mich umdrehe, möchte ich, daß du verschwunden bist. Einverstanden?«
      Er wußte nicht, wie er es schaffte, die Küche zu verlassen, die Diele zu durchqueren und auf die Straße zu gehen.
      Rosa hörte, wie die Haustür ins Schloß fiel und spürte sofort die ersten Anzeichen von Zweifel in sich aufkommen. War es denn wirklich nötig, daß Leo die Kinder nach Kent brachte? Hätten sie nicht bei Freunden in der Nähe untergebracht werden können? Selbst wenn er nicht zum Mittagessen blieb, würde er wahrscheinlich nicht vor vier Uhr zurück sein. Das kam ihr wie eine Ewigkeit vor. Warum war sie so beharrlich gewesen? Das kam ihr nun wie der Gipfel der Dummheit vor. Was konnte ein Polizist schon gegen einen wirklich entschlossenen Mörder ausrichten? Aber vor dem Haus würden sicherlich mehr Männer postiert sein. Scharfschützen, die sich auf der Straße versteckt hielten. Sie hoffte, sie würden ihr eine Polizistin schicken. Die Gesellschaft einer Frau wäre ihr jetzt sehr angenehm.
      In ihrem Körper spürte sie ein angespanntes Pochen, als hätte ihr Nervenapparat über Nacht stillgelegen und würde jetzt wieder schwerfällig in Gang kommen. Ja. Jede Gesellschaft wäre ihr recht. Sie rief die Treppe hinauf: »Hallo?« Sie erhielt keine Antwort. Sie ging ein paar
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