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Ich und andere uncoole Dinge in New York

Ich und andere uncoole Dinge in New York

Titel: Ich und andere uncoole Dinge in New York
Autoren: Julia K. Stein
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Vierundzwanzig Stunden
    Dass ich nach New York fliege und dann auch noch in der Business Class, ist nicht normal. Ich bin schließlich nicht Paris Hilton, auch wenn ich mir für den Flug meinen neuen rosa Nicki-Jogginganzug angezogen habe. Aber im Gegensatz zu Paris habe ich a) ein Gehirn und b) viel dunklere, man muss leider sagen, aschblonde Haare.
    „Haben Sie sich schon für eine Vorspeise entschieden?“
    Die Stewardess lächelt mich mit sehr weißen Hollywood-Zähnen an. Ich lächele zurück. Sie wartet. Ich warte auch. Dann zieht sie eine Speisekarte aus der Lasche vor meinem Sitz und tippt auf die Menüauswahl. „Bevorzugen Sie Lachsröllchen auf Zitronengrasbett oder eine Auswahl an Cold cuts als Vorspeise?“
    Ich tippe auf den Lachs. Der Lachs ist zwar so orange und fleischig, dass ich von den vielen Antibiotika, mit denen der arme Fisch gemästet worden ist, wahrscheinlich unfruchtbar und einen Damenbart entwickeln werde, aber heute ist mir das egal.
    Dass ich nach New York fliege, habe ich Dave zu verdanken, dem neuen Freund von meiner Mutter. Dave ist Künstler, aber nicht so einer dieser bärtigen aus den Malkursen an der Volkshochschule, die meine Mutter gibt, sondern ein erfolgreicher Künstler aus New York, den meine Mutter beim Yoga-Camp in einem italienischen Kloster kennengelernt hat. Ich wusste ehrlich gesagt gar nicht, dass man als Künstler viel Geld verdienen kann, außer man ist schon lange tot wie Van Gogh oder so. Meine Mutter auch nicht, jedenfalls himmelt sie Dave total an. Obwohl ich erst so getan habe, als würde ich es bescheuert finden, dass sie wegen des Typen direkt den Sommer über nach New York fährt, finde ich es natürlich super. Es war schließlich klar, dass sie mich mitnimmt, weil sie mich niemals so lange bei Papa lassen würde, allein schon, um ihm eins auszuwischen. Ich komme nämlich aus Eppinghoven und mir ist jedes Mittel recht, um aus Eppinghoven herauszukommen. Eppinghoven, das muss man erklären, ist ein Stadtteil von Dinslaken, dem kleinen Kaff im Ruhrgebiet, wo ich die letzten sechzehn Jahre meines Lebens vergeudet habe. Eine solche Verschwendung von kostbarer Jugendzeit ist fast kriminell. Das Aufregendste an Dinslaken ist die Eisdiele auf dem mit roten Backsteinen zugepflasterten Marktplatz, wo ich vor ein paar Tagen mit meinem Freund Jan aus dem Astronomie-Verein (den gibt es trotz angeblichem Ruhrgebiet-Smok tatsächlich) Schluss gemacht habe. Wobei eigentlich nie ganz klar war, ob er mein Freund war oder nicht. Viel passiert ist da nie. Es war eher so ein vorsorgliches Schlussmachen und er hat danach so getan, als seien wir nie zusammengewesen. Das war zwar eine Unverschämtheit, aber dafür hängt er immer noch in Dinslaken fest, während ich dick in der Business Class sitze.
    „Die Forelle, das Schnitzel oder Pasta zum Hauptgang?“
    Vom Teller einer Mitreisenden starrt mich eine gehäutete Fischleiche an. Daneben liegen bleiche Kartoffeln. Dafür duftet es nach Ravioli, als hätte der Koch die gerade in der winzigen Bordküche frisch in Form geknetet. Bevor ich antworten kann, sagt der Mann auf dem Sitz neben mir: „Could I have the pasta and the meat, please?“ Er hat vorstehende Augen und sieht auch sonst aus wie ein fetter Karpfen.
    „Fisch“, sage ich tapfer zur Stewardess. Soll ja gesund sein. Ich will schließlich nicht so werden wie der Karpfen neben mir.
    Ich blättere in den Zeitschriften, die ich gebunkert habe, als sie verteilt wurden. Alle lästern über die Stars, weil sie zu dick sind, zu magersüchtig, zu viele Kinder kriegen oder scharenweise adoptieren. Dann zappe ich durch die Programme und probiere aus, wie weit man mit dem Sessel auf- und abfahren kann. Irgendwann wühlt die Stewardess in der Seitenlehne neben mir und zieht einen kleinen Beutel heraus. „Hier ist Ihre Augenbinde drin.“ Sie blickt mich eindringlich an, als wollte sie mich hypnotisieren. Ich blicke mich um. Alle haben ihre Augenbinden an und Ohropax in den Ohren. Alle außer mir scheinen gewusst zu haben, dass dieser Beutel in der Öffnung neben dem Sitz versteckt ist. Keine Ahnung, warum die Stewardess weiß, dass ich das nicht wusste und nur upgegraded wurde. Schließlich habe ich ihr ja nicht erzählt, dass mir die hyperblonde Stewardess beim Einchecken augenzwinkernd einen „besonders schönen Platz“ gegeben hat, als ich erzählt habe, dass ich noch nie in den USA war und wahnsinnige Angst vor Entführungen, Bomben und Turbulenzen habe. Wenn der Vorhang
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