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Der Neid eines Fremden

Der Neid eines Fremden

Titel: Der Neid eines Fremden
Autoren: Caroline Graham
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halten.
      Rosa blieb regungslos stehen, doch das Maß ihrer Aufmerksamkeit entsprach jetzt dem der Benommenheit, die sie wenige Sekunden zuvor überwältigt hatte. Das Wissen, daß Hilfe in der Nähe war, hatte gereicht, um wieder eine leidenschaftliche Sehnsucht nach dem Leben in ihr zu wecken. Und zusammen mit diesem Wissen kam Angst auf. Sie hatte soviel zu verlieren. Jetzt, wo er von der bunten Scheibe weggetreten war, hatte er die ungewöhnliche Ausstrahlung verloren, die die blasse Beleuchtung ihm verliehen hatte. Jetzt sah er ebenso gewöhnlich wie gefährlich aus. Als sie ihm in die Augen blickte, in diese gelblichen, ziegenähnlichen, verrückten Augen, verdoppelte, verdreifachte sich ihre Angst, machte ihr Herz einen Satz.
      Dann schrie er plötzlich »Hoppla!« und warf seine Hand mit einer messianischen Geste in die Höhe. Sie verfolgte diese Bewegung mit den Augen, sah ein Licht, einen silbernen Strahl aufblitzen. Wieder sah sie hinter ihn. In der Mitte des Briefkastenschlitzes war jetzt das runde metallene O einer Gewehrmündung zu sehen. Er leckte sich die Lippen, und die Spucke glänzte wie die Schleimspur einer Schnecke.
      »Was hältst du davon?« Er hielt ihr das Messer entgegen, damit sie es bewundern konnte. »Schneidet alles wie Butter. Wirklich.« Das letzte Wort betonte er, als hätte sie Einspruch erhoben. Als sei er ein Vertreter, der ihr ein Küchengerät verkaufen wolle, und sie hätte sich ein wenig unentschieden gezeigt.
      »Ist es das, mit dem du Sonia umgebracht hast?« Diese Frage war ihr unwillkürlich entschlüpft. Sie fühlte, wie sich die Atmosphäre veränderte, verdichtete. Er runzelte die Stirn und sah sie dann verschlagen an. Jetzt war von seinem guten Aussehen keine Spur mehr übrig. Die Spucke, die ihm aus dem Mund lief, war flockig und hatte eine schaumige Konsistenz.
      »Du weißt nicht, was mit Sonia passiert ist.«
      »Nein. Du hast recht.« Sie trat einen Schritt zurück, und als sei dies das Signal gewesen, auf das er die ganze Zeit gewartet hatte, sprang er auf sie zu. Rosa schrie und schrie. Sein Atem brannte wie Feuer auf ihrem Gesicht. Er preßte seinen Mund auf ihren, aber nicht wie bei einem Kuß, sondern wie bei einem Angriff, bei dem Knochen auf Knochen kracht. Sie kämpften, und ihre Laute ähnelten denen eines schrecklichen, düsteren Paarungsrituals. Das Geräusch von keuchend hervorgestoßenem Atem, Grunzen und Schreien. Sie erkannte, daß sie keine Chance hatte, es sei denn, sie könnte etwas Raum zwischen sich und ihn bringen. Sie hatte von Waffen keine Ahnung, dachte aber, daß die Nähe ihres Angreifers den Scharfschützen davon abhalten mußte abzudrücken. Sicherlich bestand die Möglichkeit, daß sich die Kugel durch seinen Körper bohrte und sie ebenfalls traf. Sie standen in direkter Schußlinie der Tür. Wenn sie ihn nur dazu bringen könnte, dort zu bleiben, wo er war, während sie zur Seite trat.
      Der abscheuliche Druck seines Körpers machte ihr bewußt, daß er sie wollte, dann erkannte sie mit einem Schrei des Entsetzens, daß er mit dem Messer ihren Hals berührte. Langsam führte er es durch den aprikosenfarbenen Wollstoff nach unten, trennte ihn auf wie Seidenpapier. Sie spürte, daß die Messerspitze sanft ihren Nabel berührte. Sie hörte auf, sich zu wehren, und blieb stocksteif stehen. Bei der geringsten Bewegung würde sie sich in ihren Nabel bohren. Er sah auf das hinunter, was die Öffnung ihres Kleides enthüllte.
      »Wirklich nett.«
      »Bitte.« Sie mußte sich irgend etwas einfallen lassen, es mußte etwas geben. »Du bist so nah...«
      »Nicht so nah, wie ich dir gleich sein werde.«
      »Ich meine ... ich kann dich gar nicht richtig sehen. Du bist...« Sie würgte an den Worten. »Du bist so schön. Wenn du dich nur ein wenig weiter wegstellen würdest... nur für einen Moment... dann kann ich dich besser sehen.«
      Es klappte nicht. Sie hatte ihm geschmeichelt, und er grinste fast, aber das war alles.
      »Ich hab' dich ausgezogen, meine Süße ...« Zärtlich stieß er das Messer in ihr weiches Fleisch. »Willst du für mich nicht dasselbe tun?«
      Vor Entsetzen war ihr bereits übel, doch jetzt meinte sie, in Ohnmacht fallen zu müssen. Lieber Gott, betete sie, mach, daß ich jetzt nicht ohnmächtig werde. Wieder drückte er mit dem Messer in ihr Fleisch. Mit zitternden Händen griff sie nach den Knöpfen seiner Jacke.
      »Nur den Reißverschluß, meine Süße... nur den
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