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Wittgensteins Mätresse: Roman (German Edition)

Wittgensteins Mätresse: Roman (German Edition)

Titel: Wittgensteins Mätresse: Roman (German Edition)
Autoren: David Markson
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Am Anfang hinterließ ich manchmal Botschaften auf der Straße.
    Jemand lebt im Louvre, lauteten einige dieser Botschaften. Oder in der National Gallery.
    Natürlich konnten sie so nur lauten, wenn ich in Paris oder London war. Jemand lebt im Metropolitan Museum, so lauteten sie nämlich, als ich noch in New York war.
    Niemand kam, selbstverständlich. Schließlich hörte ich auf, Botschaften zu hinterlassen.
    Um die Wahrheit zu sagen, vielleicht hinterließ ich insgesamt nur drei oder vier Botschaften.
    Ich habe keine Ahnung, wie lange es her ist, seit ich das getan habe. Müsste ich schätzen, ich glaube, ich würde zehn Jahre schätzen.
    Möglicherweise ist es auch einige Jahre länger her. Allerdings.
    Und selbstverständlich war ich für eine bestimmte Periode auch nicht bei Sinnen. Damals.
    Ich weiß nicht, für wie lange, aber für eine bestimmte Periode.
    Aus der Zeit gefallen. Eine Redewendung, die ich, wie ich vermute, vielleicht nie richtig verstanden habe, jetzt, da ich sie gerade verwende.
    Bedeutet aus der Zeit gefallen wahnsinnig, oder bedeutet aus der Zeit gefallen einfach vergessen?
    Aber in jedem Fall gab es kaum einen Zweifel an diesem Wahnsinn. Wie zum Beispiel damals, als ich in jenen obskuren Winkel der Türkei fuhr, um die Stätte des alten Troja aufzusuchen.
    Und aus irgendeinem Grund wollte ich besonders den Fluss dort sehen, über den ich auch etwas gelesen hatte und der an der Zitadelle vorbei zum Meer fließt.
    Ich habe den Namen des Flusses, der in Wirklichkeit ein schlammiger Bach war, vergessen.
    Und außerdem meine ich nicht zum Meer, sondern in die Dardanellen, die einst der Hellespont genannt wurden.
    Der Name Troja ist natürlich auch geändert worden. In Hisarlik ist er geändert worden.
    Mein Besuch war in vielerlei Hinsicht eine Enttäuschung, die Stätte erstaunlich klein. Praktisch nicht viel mehr als ein gewöhnlicher Häuserblock und ein paar Stockwerke hoch.
    Dennoch konnte man von den Ruinen aus den Berg Ida sehen, über all diese Entfernung hinweg.
    Sogar im späten Frühling war noch Schnee auf dem Berg.
    Jemand ging dorthin, um zu sterben, glaube ich, in einer der alten Geschichten. Paris vielleicht.
    Ich meine natürlich den Paris, der Helenas Geliebter gewesen war. Und der verwundet wurde fast am Ende dieses Krieges.
    In der Tat war es Helena, an die ich hauptsächlich dachte, als ich in Troja gewesen bin.
    Ich wollte gerade hinzufügen, dass ich eine Zeit lang sogar träumte, die griechischen Schiffe lägen dort noch am Strand.
    Nun, es wäre ja harmlos genug gewesen, das zu träumen.
    Von Hisarlik ist das Wasser vielleicht eine Stunde Fußmarsch entfernt. Was ich als Nächstes geplant hatte, war, ein gewöhnliches Ruderboot zu nehmen, damit überzusetzen und dann weiter über Jugoslawien nach Europa zu fahren.
    Möglicherweise meine ich Jugoslawien. Auf jeden Fall gibt es auf dieser Seite der Meerenge Denkmäler für die Soldaten, die dort im Ersten Weltkrieg gestorben sind.
    Auf der Seite, auf der Troja liegt, kann man ein Denkmal finden, wo Achilles begraben wurde, was so viel länger her ist.
    Nun, man sagt halt, dass es dort sei, wo Achilles begraben wurde.
    Dennoch finde ich es außergewöhnlich, dass junge Männer dort starben, in einem längst vergangenen Krieg, und dann am selben Ort gestorben sind, dreitausend Jahre danach.
    Aber wie dem auch sei, ich änderte meinen Plan, den Hellespont überqueren zu wollen. Womit ich die Dardanellen meine. So suchte ich mir ein Motorboot aus und nahm stattdessen den Weg über die griechischen Inseln und Athen.
    Obwohl ich nur eine aus dem Atlas herausgerissene Seite hatte statt einer Seekarte, kostete es mich nur zwei gemächliche Tage, um nach Griechenland zu kommen. Vieles über diesen alten Krieg war zweifellos stark übertrieben.
    Dennoch, bestimmte Dinge können eine Saite anrühren.
    Wie zum Beispiel ein oder zwei Tage danach den Parthenon zu sehen, in der späten Nachmittagssonne.
    Es war in diesem Winter, in dem ich im Louvre lebte, glaube ich. Da verbrannte ich Artefakte und Bilderrahmen, der Wärme wegen, in einem schlecht belüfteten Raum.
    Aber dann, bei den ersten Anzeichen von Tauwetter, wechselte ich die Fahrzeuge, sobald mir das Benzin auszugehen begann, und begab mich auf den Heimweg quer durch Russland.
    All das ist unbestreitbar wahr, wenn auch, wie gesagt, lange her. Und ich mag, wie auch schon gesagt, wohl wahnsinnig gewesen sein.
    Aber dann wiederum bin ich mir überhaupt nicht sicher, wahnsinnig
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