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Wittgensteins Mätresse: Roman (German Edition)

Wittgensteins Mätresse: Roman (German Edition)

Titel: Wittgensteins Mätresse: Roman (German Edition)
Autoren: David Markson
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dass ich die Dramen gelesen und die Seiten verbrannt habe.
    Möglicherweise war es erst nach meiner Fahrt ins alte Troja, dass mir die Dramen in den Sinn gekommen sind.
    Oder war es das Lesen der Dramen gewesen, weshalb mir in den Sinn kam, ins alte Troja zu fahren.
    Er ging weiter, dieser Wahnsinn.
    Ich bin nicht notwendigerweise wahnsinnig gewesen, als ich nach Mexiko fuhr, allerdings. Sicherlich muss man nicht wahnsinnig sein, um sich zu entscheiden, das Grab seines kleinen Jungen zu besuchen.
    Aber bestimmt war ich wahnsinnig, als ich durch die Weiten Alaskas fuhr, nach Nome, und dann ein Boot über die Beringstraße steuerte.
    Selbst wenn ich mir diesmal Seekarten heraussuchte.
    Nun, und mich auch einmal mit Booten ausgekannt habe. Aber dennoch.
    Jedoch danach paradoxerweise meinen Weg westwärts quer durch ganz Russland nahm, mit so gut wie überhaupt keinen Landkarten. Jeden Morgen mit der Sonne hinter mir losfuhr und dann wartete, bis sie im Lauf des Tages vor mir erschien, einfach der Sonne folgend.
    Und über Fjodor Dostojewski nachgrübelte, während ich fuhr.
    In Wirklichkeit habe ich mein Augenmerk auf Rodion Romanowitsch Raskolnikow gerichtet.
    Habe ich bei der Eremitage haltgemacht? Warum erinnere ich mich nicht, ob ich überhaupt in Moskau haltgemacht habe?
    Nun, gut möglich, dass ich an Moskau vorbeigefahren bin, ohne es zu wissen, da ich nicht ein Wort Russisch spreche.
    Wenn ich sage, nicht ein Wort sprechen, meine ich auch, nicht ein Wort lesen. Offensichtlich.
    Und warum habe ich diese prätentiöse Zeile über Dostojewski geschrieben, wenn ich jetzt keine Ahnung mehr habe, ob ich auch nur eine Sekunde über den Mann nachgedacht habe.
    Mehr Gepäck, also. Zumindest hier und jetzt, während ich tippe, wenn nicht damals.
    Tatsache ist, dass, als ich mit der Barkasse nach der letzten Insel anlegte und wieder Jagd auf ein Auto machte, ich vielleicht sogar überrascht war, dass sie russische Buchstaben auf ihren Nummernschildern hatten. Mir halb vorgestellt hatte, in China sein zu müssen.
    Obwohl es mir erst in diesem Augenblick aufgeht, dass man auch bestimmtes chinesisches Gepäck besitzt. Selbstverständlich.
    Einiges. Es ist witzlos, diese Tatsache jetzt zu erläutern.
    Selbst wenn ich zufällig gerade Souchong-Tee trinke, während ich das sage.
    Und in jedem Fall kann die Eremitage in Leningrad sein.
    Dann wiederum ist es fraglos, dass ich nach Raskolnikow entschieden Ausschau hielt. Verwendet man Raskolnikow als Symbol, kann man entschieden sagen, dass ich nach Raskolnikow Ausschau hielt.
    Obwohl man auch genauso leicht sagen könnte, dass ich nach Anna Karenina Ausschau gehalten habe, oder nach Dmitri Schostakowitsch.
    Ich habe auch Ausschau gehalten, als ich nach Mexiko fuhr. Natürlich.
    Kaum nach Simon, da ich nur zu gut wusste, dass Simon in diesem Grab war. Dann also Ausschau nach Emiliano Zapata hielt, vielleicht.
    Wiederum symbolisch, Ausschau nach Zapata. Oder nach Benito Juarez. Oder nach David Alfaro Siqueiros.
    Ausschau nach irgendjemandem, irgendwo halt.
    Nun, sogar wahnsinnig Ausschau hielt, oder warum in aller Welt wäre ich sonst losgezogen zu all jenen anderen Orten?
    Und hatte vorher Ausschau gehalten an jeder Straßenecke in New York, natürlich. Hatte überall in New York Ausschau gehalten, sogar bevor ich von Soho weggezogen bin.
    Und habe also immer noch Ausschau gehalten in jenem Winter, als ich in Madrid gelebt habe.
    Ich bin nicht sicher, ob ich meine Madrider Periode erwähnt habe.
    In Madrid lebte ich nicht im Prado, wie sich herausstellte. Vielleicht habe ich angedeutet, dass ich das zu tun gedachte, aber das Licht war zu schlecht.
    Es ist natürliches Licht, von dem ich in diesem Fall spreche, da ich damals schon begonnen hatte, mich der meisten meiner Gerätschaften zu entledigen.
    Nur wenn die Sonne besonders grell scheint, beginnt man, diesen Rogier van der Weyden so zu sehen, wie er gesehen werden will.
    Ich kann das kategorisch bestätigen, da ich sogar die ihm nächstliegenden Fenster geputzt habe.
    Wo ich in Madrid lebte, war in einem Hotel. Ich wählte das, das sie nach Velázquez benannt hatten.
    Hielt dort Ausschau nach Don Quixote. Oder nach El Greco. Oder nach Francisco de Goya.
    Wie poetisch die meisten spanischen Namen im Allgemeinen klingen. Man kann sie wieder und wieder sagen.
    Sor Juana Inés de la Cruz. Marco Antonio Montes de Oca.
    Obwohl tatsächlich beide Namen wieder aus Mexiko sein können.
    Ausschau halten. Lieber Himmel, wie ängstlich ich
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