Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Neid eines Fremden

Der Neid eines Fremden

Titel: Der Neid eines Fremden
Autoren: Caroline Graham
Vom Netzwerk:
Stufen hoch. »Möchten Sie einen Kaffee?« Immer noch nichts. Der Nervenapparat entwickelte ein wenig mehr Kraft; nahm an Geschwindigkeit zu. Sie fühlte sich, als sei tief in ihrem Rachen ein kleiner Vogel gefangen und flatterte dort wild herum. Unsinnig, Angst zu haben. Sie holte tief Luft, schluckte den Vogel hinunter und ging die restlichen Stufen in die Diele hinauf.
      Leo entfernte sich sehr langsam vom Haus. Immer wieder drehte er sich nach den großen, vornehmen Fenstern um und hoffte, daß Rosa ins Eßzimmer gerannt war, als er das Haus verlassen hatte, um ihm zuzuwinken. Aber natürlich war der heutige Abschied anders als sonst. Da es ihr ohnehin schwergefallen war, ihn zu überreden, das Haus zu verlassen, würde sie nichts unternehmen, um jetzt seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Er überquerte die Straße, um das Haus noch ein wenig länger im Auge behalten zu können. Er fühlte sich verdammt unwohl. Hatte ihn das jugendliche Aussehen des Polizisten gestört? Wenn er es sich recht überlegte, war der Mann zudem nicht offensichtlich bewaffnet gewesen. Er erinnerte sich, wie Rosa gesagt hatte: »Ich hab' gedacht, es würde auch eine Polizistin kommen?« War es nicht seltsam, daß sie nicht zusammen zu ihnen gekommen waren?
      Er verlangsamte seinen Gang. Als er an die Kreuzung von Gloucester Crescent und Inverness Street kam, blieb er ganz stehen. Er stand am Rand des Bürgersteigs neben einem Lieferwagen von Fleurop auf der Längsseite. Im Fahrersitz saß ein hübsches Mädchen in einem Nylonoverall und daneben ein großer Mann, der eindringlich auf sie einredete. Sie nickte und hörte ihm, die Augen auf sein Gesicht gerichtet, zu.
      Es hat keinen Zweck, dachte Leo. Er konnte sie einfach nicht allein zurücklassen. Was immer ihn auch zum Haus zurückzog, war zu stark, um einfach mißachtet zu werden. Er würde Rosa mit nach Kent nehmen, sie wieder nach Hause bringen und selbst bei ihr bleiben, was immer die Polizei dagegen einzuwenden haben mochte. Und wenn er die Möglichkeit, auch nur die geringste Möglichkeit hätte, diesen mörderischen Mistkerl in die Finger zu kriegen -
      »Mr. Gilmour!«
      Der bärtige Mann kletterte aus dem Lieferwagen und starrte ihn an. Leo runzelte die Stirn. Er hatte den Mann erst kürzlich gesehen. Dann fiel es ihm wieder ein. Es war der Sergeant, der gestern Chief Inspector Pharaoh begleitet hatte. Da er gestern eine Uniform getragen hatte, dauerte es einen Moment, bis Leo ihn erkannte. Zweifellos war das hübsche Mädchen eine Polizistin. Jetzt, da er die Verstärkung gesehen hatte, fühlte er sich besser. Aber irgend etwas war nicht in Ordnung. Der Sergeant packte ihn am Arm.
      »Was machen Sie hier, Mr. Gilmour? Wir haben verabredet, daß Sie Ihre Frau nicht allein lassen.«
      »Sie ist nicht allein. Einer Ihrer Männer -«
      Obwohl Leos Einsicht in die tatsächliche Situation und sein Satz zurück in Richtung des Hauses fast eins waren, warf sich der Sergeant auf ihn und klammerte sich wie ein großer Bär an seinen Rücken und seine Schultern. Das Mädchen klopfte gegen die Trennwand hinter ihrem Sitz und redete dann erregt in die Gegensprechanlage. Die hintere Tür des Lieferwagens sprang auf. Ein Mann mit einem dunklen Rollkragenpullover, einer Wollmütze und einer Seemannsjacke sprang heraus und ließ die gesamte Längsseite des Wagens mit einem einzigen Satz hinter sich. Er und der Sergeant klammerten sich an Leo. Fast zwei Minuten lang schwankte der monströse Haufen vor und zurück und beugte sich vor, bis Leo, wie ein Pferd nach dem Zureiten keuchend, mit gesenktem Kopf, den Blick auf den Bürgersteig gerichtet, stehenblieb. Während der Sergeant ihn losließ, hielt der andere Mann ihn immer noch fest. Einige Menschen liefen auf der Straße zusammen und blockierten den Verkehr.
      »Hören Sie, Mr. Gilmour. Wenn wir zugelassen hätten, daß Sie ins Haus laufen, hätte sie keine Chance mehr gehabt. Beim ersten Geräusch wäre er durchgedreht. Wie die Sache jetzt steht -«
      »Er hat sie umgebracht. Er hat sie ermordet.« Leo sackte in den Armen des Polizisten zusammen wie eine leblose Puppe.
      »Nein, das hat er nicht. Ich kenne diese Schweine. Ich habe gestern abend das Mädchen gesehen. Sie machen ein Spiel daraus. Katz und Maus.« Leo stöhnte auf. »Wenn er sich in Sicherheit glaubt, wird er das Vergnügen hinauszögern.«
      »O mein Gott.« Er weinte. »Rosa ... oh, Rosa ...«
      »Kommen Sie und setzen Sie sich.«
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher