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Der Name der Welt

Der Name der Welt

Titel: Der Name der Welt
Autoren: Denis Johnson
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Bleiglasfenster, ein antikes schwarzes Teleskop und einen monströsen beigefarbenen Globus warf, von dem ich gewettet hätte, er stellte die Welt dar, wie sie vor langer Zeit gewesen war, aber nie wieder sein würde. Mit anderen Worten, wir tranken Rumpunsch im Ambiente eines hochpreisigen Geschenkeladens. Das bedrückte mich. Es bedrückte mich, obwohl ich an anderen Universitäten und in Washington schon in vielen Häusern wie diesem zum Dinner eingeladen gewesen war und im vorletzten Winter sogar bereits einmal in Ted MacKeys Haus gegessen hatte. Es bedrückte mich vielleicht nicht zuletzt wegen dieses Gedankens, der Vorstellung, dass sich da tausend solcher Gebäude, Fenster an Fenster, über der indifferenten Luft eines weiten, klaffenden Abgrunds aneinanderdrängten, und in jedem einzelnen davon, mit einem Löffel, einem Suppenteller und einem Lächeln, ich.
    Das Dinner an diesem Abend fand zu Ehren eines bedeutenden Campus-Besuchers statt, des israelischen Komponisten Izaak Andropov. Aber wie es so geht, hatte er Fieber bekommen und war nicht erschienen.
    Ich war hier, um jemanden kennenzulernen, den Leiter einer universitären Pfründe namens Forum für interpretierende Wissenschaft. Die vom Forum hatten Geld. Sie hatten Stellen auf der Assistenzprofessoren-Ebene zu vergeben. Sie hatten Büros, Gehälter, alles. Besser noch, sie hatten keine Verpflichtungen, mussten nicht lehren. Zumindest hatte Ted MacKey das durchblicken lassen, indem er so beiläufig, als müsste ich mir keineswegs im übernächsten Jahr irgendwo eine neue Stelle suchen, darauf zu sprechen gekommen war. Es geschah übrigens dauernd, dass mir Leute, die ich kaum kannte, auf die eine oder andere Weise andeuteten, sie würden mir gern behilflich sein. Ich war das Objekt geballten Wohlwollens – entweder, weil man den Mann, für den ich in Washington gearbeitet hatte, nicht mochte und ich bei ihm gekündigt hatte, oder umgekehrt, weil man ihn mochte und ich für ihn gearbeitet hatte. Jedenfalls bot sich hier eine Chance, meine Ferien um ein, zwei akademische Jahre zu verlängern. Beim Forum tat sich nie etwas, abgesehen von gelegentlichen Vorträgen eines der Gelehrten, meist Emeriti von einer der zehn Spitzenuniversitäten oder so, die, wie schon zu den Zeiten, da Ted MacKeys beigefarbener Globus noch gewusst hatte, was Sache war, ihre Vorlesungsthemen weiter breittraten.
    Ich glaube nicht, dass die Gäste einander mehr als flüchtig kannten, trotzdem brauchten wir nicht krampfhaft nach Gesprächsstoff zu suchen, weil Ted MacKey ein kleines Konzert für uns arrangiert hatte. Eine junge Frau spielte Gitarre und eine andere Cello, und danach spielte Teds Sohn, der noch zur Grundschule ging, in Schlafanzug, Bademantel und flauschigen Hausschuhen mit erstaunlicher Gelassenheit die Laute, erkennbar nicht auf seine Finger konzentriert, sondern auf den Gehalt der Musik.
    Ich war neben Dr. J. J. Stein platziert worden, dem, der beim Forum für interpretierende Wissenschaft die Fäden zog. Eine Art Schottische Graupensuppe wurde gereicht. Obwohl mir bewusst war, dass ich schon an zu vielen solcher Dinner teilgenommen hatte, störten sie mich, zumal in Universitätskreisen, nicht. Ich fühle mich wohl unter Leuten, die sich in ihrem Umfeld wohlfühlen. In der akademischen Weit, der Welt des Geistes, trifft man viel häufiger als in der Welt der Politik auf Menschen, die sich ihr annehmliches Leben redlich verdient haben, zumindest insofern, als sie die Phasen der Kindheit, die für Gelehrte, helle Köpfe, Intellektuelle so unerfreulich sind, durchstehen und hinter sich lassen konnten. Da sind sie nun, endlich respektiert und abgesichert, während sich die anderen auf dem freien Markt herumschlagen. Dr. J. J. Stein war genau der Mensch, der mir vorgeschwebt hätte, wenn ich mir unser Zusammentreffen vorher hätte ausmalen wollen, ein glücklicher, bärtiger, zur Glatzköpfigkeit neigender Gelehrter. Und prompt setzte er zu einer Erläuterung an, wie ich sie ebenfalls erwartet hätte – erstaunlicherweise müssen einem tiefschürfende Denker stets die Namen erklären, die sie ihren Projekten gegeben haben, weil diese Namen, wenn man sie hört, absolut nichts bedeuten –, etwa warum «Forum» der richtige Begriff sei, warum nur «interpretierend» den Sinn exakt treffe und warum, wenn man die Vielzahl der sprachlichen Möglichkeiten bedacht habe, nur das Wort «Wissenschaft» in Frage komme.
    Ich war mir nicht sicher, wie entschlossen ich mich
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