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Der Name der Welt

Der Name der Welt

Titel: Der Name der Welt
Autoren: Denis Johnson
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also über den Innenhof, an den angelaufenen Skulpturen vorbei, und durch die Eingangstür des Kunstseminars. Ging weiter durch meinen Tunnel, wie ich es seit vier Jahren tat. Jeden Schritt machte ich aus einer dumpfen Neugier heraus, nicht etwa auf das, was vor mir lag, denn das war mir egal, sondern darauf, ob ich noch einen weiteren Schritt würde machen können oder nicht. Bis hierhin war ich auf nicht viel Interessantes gestoßen. Auf die Gefahr hin, das Bild zu strapazieren, kann ich sagen, dass ich manchmal im Dunkel an Abzweigungen kam und mich fragte, ob das Ganze nicht ein Labyrinth war.
    Das Kunstseminar war ein altes Gebäude mit hohen Decken, die die Flure schmal erscheinen ließen, als wären sie eigens für eine frühere, hochaufgeschossene Rasse von Akademikern proportioniert worden. Es roch stark nach Ölfarben, Klebstoff und altem Holz. Ich erwartete gar nicht, Heidi anzutreffen. Ich dachte, dass ich ihr im Büro eine Nachricht hinterlassen würde. Dort schien ein junger Mann mit Ziegenbärtchen und ansonsten kahlem Schädel das Regiment zu führen. Als ich ihn nach Heidi Franklin fragte, tauchte er hinter seinem Schreibtisch ab und war verschwunden, vollkommen verschwunden. «Entschuldigung?», rief ich. Ich trat näher und linste über den Tisch auf den Fußboden, wo ich ihn hocken und am Stecker seiner elektrischen Schreibmaschine herumfummeln sah. «Vielleicht ist sie bei der Performance», sagte er.
    «Kann ich ihr etwas aufschreiben?»
    Er stand auf, und ich bemerkte eine stilistische Raffmesse an seiner ansonsten zeitgemäß ausgebeulten Kleidung: ein ultramarinblaues Lacoste-Polohemd. Wo der Alligator-Aufnäher hingehörte, war ein Loch in den Stoff gerissen worden, und darunter zeigte sich ein Stückchen nackter Brust. Ein winziger Alligator war dort auftätowiert. «Versuchen Sie’s mal bei der Cannon-Performance. Raum acht», sagte er.
    «Was mit Kanonen? Klingt gefährlich.»
    «Soll es bestimmt auch.»
    Raum acht war nur ein paar Schritte den Flur hinunter, und ich spähte durch die halbgeöffnete Tür und sah eine Reihe von Studenten, sagen wir, zwei Dutzend, von denen die meisten auf dem Boden herumlagen, andere auf Hockern saßen, alle im unordentlichen, ausdrucksstarken Kunststudentenstil gekleidet und behängt. Staffeleien hatte man zur Seite geschoben, Hocker und Stühle zusammengestellt. In dem großen Raum war es still. Ich konnte allerdings weder eine Performance noch einen Performer entdecken, obwohl ein Großteil der Zimmerfront für mich gut einzusehen war. Ich schlich mich hinein und setzte mich an ein hölzernes Schulpult nahe dem Eingang, war somit eher Teil des Interieurs, der Abdeckplanen, Staffeleien und Kisten, als Teil des Publikums. Nun sah ich auch die mir am nächsten liegende Ecke des Raumes und auf einer kleinen Plattform eine Frau, die mit weitgespreizten Beinen auf einem Tisch hockte, den linken Fuß neben sich aufgestellt und den rechten baumeln lassend, eine junge Frau, von der Hüfte abwärts nackt mit Ausnahme der Schuhe – knöchelhohe schwarze Sneakers, ungeschnürt, ein Senkel violett oder schwärzlich und der andere weiß oder grau –, die sich gerade ihren eingeschäumten mons veneris rasierte. Sie benutzte dazu einen rosafarbenen Einmalrasierer. Ich saß nahe genug, um diese Gegebenheiten und Farben zu registrieren. Sie hatte einige Mühe mit dem, was sie da tat, machte sehr kurze Striche mit dem Rasierer, zog ihn nach jedem zweiten Strich kräftig durch eine angeschlagene Emailleschüssel mit Wasser und ersetzte ihn häufig durch einen neuen Rasierer aus einer vollen Plastiktüte.
    Ich brauchte eine Weile, bis ich die junge Frau erkannte, die ich am selben Abend wie Heidi Franklin bei Ted MacKey kennengelernt hatte, die beschwipste Cellistin im blauen Samtkleid. Ich versuchte mich an den auch unter normalen Umständen sichtbaren Gegebenheiten festzuhalten: Sie hatte rotes Haar, hübsche blaue Augen, umgeben von blassvioletten Ringen, die umso stärker auffielen, als ihre Haut so hell war. Im Moment trug sie eine gelbe Baseballmütze und ein blaues T-Shirt, auf dem vorne in weißen Kursivbuchstaben Edgars stand.
    Ich hatte mich irgendwo am Rand hinsetzen wollen, aber da das Podest ausgerechnet in dieser, meiner Ecke aufgebaut war, wo ich nicht damit gerechnet hatte, kroch ich der Performerin beinahe in den Schoß. Zogen sich Sommersprossen über ihre Knie? Als ich mich vorbeugte, um nachzusehen, riss ich mich schamerfüllt zusammen. Aber niemand
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