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Der Nachtwandler

Der Nachtwandler

Titel: Der Nachtwandler
Autoren: Sebastian Fitzek
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gefangen gewesen war, hatte er bei dem persönlichen Zusammentreffen mit ihm aus nächster Nähe erleben dürfen.
    Die Kopfkamera war zunächst kein vorgesehener Bestandteil ihres Experiments gewesen. Eigentlich hatten sie mit dem Rezept, das Volwarth ihm ausstellte, testen wollen, ob Leon während des Schlafwandelns auch das Haus verlassen würde. Doch der war zu diesem Zeitpunkt schon so sehr von seiner eigenen Schuld überzeugt gewesen, dass er von selbst darauf gekommen war, sich wieder verkabeln zu wollen. Da sie nicht wussten, wie ausgeprägt seine technische Fingerfertigkeit während des Nachtwandelns sein würde, hatten sie die bestellte Kamera gegen eine andere ausgetauscht, die einfacher zusammenzusetzen und leichter zu installieren war. Außerdem konnten sie mit Hilfe des vertauschten USB-Sticks die manipulierten Videos auf den Computer ziehen, ohne dafür die Wohnung betreten zu müssen.
    Von der Geschicklichkeit ihres Patienten überrascht, hatten sie von da an verschiedene Schweregrade ausprobiert, um zu testen, wie fest Leon im dritten Stadium gefangen war und zu welchen physischen und psychischen Leistungen er beim Nachtwandeln fähig war. Von einfachen Aufgaben wie dem Betrachten von Bildern auf einem Handy bis hin zu der Entdeckung einer Zahlenkombination auf einem Fingernagel – Volwarth war im Verlauf der Versuchsanordnung immer euphorischer über Leons Fähigkeiten geworden. Selbst das a-Moll-Rätsel hatte er lösen können.
    »Manchmal denke ich, unser Patient war im Kopf klarer als unser Werkzeug«, maulte Tareski.
    Volwarth nickte bedauernd. »Ich verstehe Ihren Unmut, Professor, und ich verspreche, das nächste Mal bei der Auswahl unserer Helfer sorgfältiger vorzugehen.«
    »Das sollten Sie auch. Siegfried von Boyten war irgendwann nicht mehr zu steuern und hat seine sadistischen Neigungen ausgespielt.« Unbewusst fasste Tareski sich an den Hals. »Sie dürfen nie wieder einen Laien mit einer so wichtigen Aufgabe wie der Erstellung der Trigger-Bänder beauftragen.«
    Volwarth seufzte.
    Eigentlich hatten sie jemand Zuverlässigeren als Lockvogel auf Natalie ansetzen wollen, aber es war schon schwer genug gewesen, überhaupt einen wagemutigen Forscher für ihre Projekte zu begeistern. Und diesmal hatten sie jemanden mit einschlägigen Erfahrungen in einer Szene gesucht, die selbst Anhängern von SM-Praktiken zu extrem war. Als von Boyten junior sich unerwartet für die Aufgabe anbot, waren sie aus der Not heraus so unvorsichtig gewesen, darauf einzugehen. Allen war klar, dass Siegfried nur seine niederen sadistischen Triebe befriedigen wollte, aber war er damit nicht geradezu prädestiniert, den psychotischen Stress bei Leon zu erzeugen, den sie für das Gelingen ihrer Versuchsreihe so dringend benötigten?
    Und so war es von Boyten, der Natalie die Wohnung andiente, um ihr sexuelles Verhältnis zu verfestigen. Er war der Katalysator, den sie gebraucht hatten, um Leons Verlustängste derart zu steigern, dass er in alte Bewusstseinsmuster zurückfiel.
    »Ihm gehörte das Haus«, erklärte Volwarth. »Wie Sie wissen, drohte er damit, alles auffliegen zu lassen, wenn wir ihn abziehen. Ich wünschte auch, ich hätte eine andere Wahl gehabt. Er war unsere einzige Schwachstelle.«
    Sie hatten ihm einen gewissen Freiraum gelassen, was die Inhalte der Bänder betraf, die sie auf Leons Laptop spielten. Mit den Aufnahmen sollte in erster Linie getestet werden, wie ausgeprägt das Ich-Bewusstsein des Probanden im dritten Stadium war, ähnlich dem Bewusstseinstest, den man mit Tieren durchführt, um zu überprüfen, ob sie sich selbst oder etwas Fremdes im Spiegel erkennen. Gleichzeitig sollte mit Hilfe der Bänder erforscht werden, inwieweit der Patient logische Schlussfolgerungen aus dem Gezeigten ziehen kann.
    Dass von Boyten eigenmächtig in die Räume von Tareski geklettert war und ihn mit einem Schnürsenkel nahezu erdrosselt hatte, war weder abzusehen noch geplant gewesen. Ausgerechnet an einem Tag, an dem Volwarth wegen eines unaufschiebbaren Vortrags verhindert gewesen war und nicht sofort hatte einschreiten können.
    »Auch wenn Sie der Leidtragende waren, Professor, ein Gutes hatte der Übergriff. Ihre Befreiung durch Leon hat bewiesen, dass es auch ein schlafwandlerisches Gewissen gibt.«
    Tareski schien nicht sehr überzeugt, aber alle anderen im Raum nickten anerkennend.
    »Und last but not least«, wollte Volwarth seine Zusammenfassung zum Abschluss bringen, »ist es uns quasi als
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