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Der Nachtwandler

Der Nachtwandler

Titel: Der Nachtwandler
Autoren: Sebastian Fitzek
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be- und entkleidet, bewegt und einmal auch in eine Badewanne gelegt werden konnte.
    Volwarth sah zu Ivana, auf deren Schoß Alba schnurrend ihr Köpfchen gegen die Hände ihres Frauchens stupste, damit endlich die Streicheleinheiten fortgesetzt wurden, und er musste an den Widerstand denken, den die Alte geleistet hatte, bis für den Versuchsaufbau in der Badewanne doch kein echter Katzenkadaver, sondern nur eine täuschend echte Fellattrappe benutzt wurde.
    Und dennoch, trotz der persönlichen Differenzen im Team hat alles wunderbar geklappt.
    Nicht zum ersten Mal empfand Volwarth Stolz auf sich und seine Mannschaft.
    Es hatte viel Disziplin, Konzentration und eine exakte Befolgung der ausgearbeiteten Versuchsanordnung erfordert, aber am Ende hatten sich die Strapazen gelohnt.
    »Zunächst einmal haben wir eindeutig bewiesen, dass schwerste seelische Traumata den komplizierten Prozess des Schlafwandelns ganz gezielt auslösen können«, dozierte Volwarth.
    Alle nickten zufrieden.
    Zugegeben, anfangs hatten sie nicht gewusst, wie sie Leon zielgerichtet in einen schlafwandlerischen Zustand versetzen sollten, aber das zu erforschen war ja gerade ein Teil des Experiments gewesen, und wie dem Bakteriologen Fleming bei der Entdeckung des Penicillins hatte auch ihnen hier der Zufall in die Hände gespielt. Siegfried von Boyten hatte der Überlassung des Hauses aus dem Nachlass seines Vaters nur unter der Bedingung zugestimmt, selbst ein Teil des Experiments werden zu dürfen. Leon wiederum war von Anfang an nur Natalies wegen als Versuchsobjekt ausgesucht worden. Volwarths Behauptung ihm gegenüber, seine Hypnophobie aus Kindertagen sei so interessant, dass er noch heute über sie referiere, war gelogen. Tatsächlich hatte er Leon völlig aus den Augen verloren, bis zu dem Tag, an dem ein Kollege ihn um Rat bei einem Fall bat, in dem eine Patientin unter sexuell selbstzerstörerischem Verhalten litt. Als Volwarth in den Gesprächsprotokollen von Natalies Therapiesitzungen auf den ihm bekannten Namen ihres Partners stieß, erkannte er auf den ersten Blick das Potential für seine Experimente: ein Schlafwandler und eine labile Freundin. Eine Steilvorlage, um zu testen, ob und ab welcher Intensität ein seelischer Druck schlafwandlerische Störungen auslösen kann. Es war Volwarth gewesen, der den Kontakt zu Natalie aufgenommen und ihr Hilfe angeboten hatte. Nicht umgekehrt.
    »Endlich ist es uns gelungen, die Phase des Schlafwandelns als einen eigenständigen Bewusstseinszustand nachzuweisen, in dem der Patient nicht nur agieren und reagieren, sondern vollumfänglich kommunizieren kann«, prahlte Volwarth weiter.
    Er bat seine Kollegen, die schmalen Aktenordner zu öffnen, die vor ihnen auf dem Tisch lagen, und sich das Foto auf der ersten Seite anzusehen. Es zeigte Leon Nader, nur mit Boxershorts bekleidet, wie er im Hausflur des alten Labors stand.
    »Auf diesem Bild war unser Patient bereits im dritten Stadium.«
    Als Leon eines Morgens, nachdem er am Abend zuvor eine Flasche Wein ganz alleine getrunken hatte, im Ehebett hochschreckte, glaubte er, wach zu sein. In Wahrheit befand er sich in einer hochstabilen Schlafwandelphase, die mit Natalies Flucht begann und die erst endete, nachdem er zurück im Schlafzimmer war und wieder einschlief.
    »Im anschließenden Wachzustand konnte Herr Nader sich nicht erinnern, wie seine Frau ihn verlassen hatte. Er erwachte in einem leeren Bett und glaubte, sie habe nach Wochen heftiger Ehekrisen die Konsequenzen gezogen. Während er schlief, hatten wir den Schrank wieder geschlossen und jede Unordnung beseitigt. Da Natalie ihm vor ihrem abrupten Aufbruch eine Abschiedskarte an der Küchentür hinterlassen hatte, war Leon zwar niedergeschlagen, aber nicht verstärkt um ihr Wohl besorgt gewesen und hatte sich die folgenden Tage mit Arbeit betäubt.«
    Die Abschiedskarte hatten sie in den ersten Nachtwandelphasen natürlich entfernen müssen, damit Leons Leidensdruck größer und sein schlafwandlerischer Zustand stabiler war.
    Volwarth lächelte versonnen.
    Kein Wunder, dass Leons Freund und Geschäftspartner so verwirrt gewesen war. Sven Berger hatte seinen Freund in zwei unterschiedlichen Bewusstseinsstadien erlebt, und je nachdem, ob Leon wach gewesen war oder schlafwandelte, hatten sich die Versionen, die er über Natalies Verschwinden zu hören bekam, komplett unterschieden. Mal hatte Natalie sich nur eine Auszeit genommen. Mal war sie im Schlaf von ihm verprügelt worden. Leon
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