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Mörderischer Auftritt

Mörderischer Auftritt

Titel: Mörderischer Auftritt
Autoren: Anne George
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    Ich lag bäuchlings unter der Küchenspüle und aß zu den Klängen von Vivaldis ›Frühling‹ ein Erdnussbutter-Bananen-Sandwich, als sich eisige Hände um meine Knöchel schlossen. Ich fuhr kreischend hoch und schlug mit dem Kopf so fest gegen das Abflussrohr, dass ich Sterne sah. Das Nächste, was ich mitbekam, war, dass mich jemand unter der Spüle hervorzog und eine wohlvertraute Stimme sagte: »Was um Himmels willen machst du da?«
    Mein Kinn schlug mit einem dumpfen Geräusch auf dem Küchenboden auf, was mich erneut Sternchen sehen ließ; die Schmerzen von beiden Schlägen trafen sich unter meiner Schädeldecke.
    »Ist alles in Ordnung mit dir?«
    Vielleicht, dachte ich, würde sie, wenn ich einfach da liegen bliebe, wieder verschwinden – wobei mit »sie« meine Schwester gemeint war, die Herrin der Welt. Der Schmerz würde nachlassen, Vivaldi würde zum ›Sommer‹ übergehen und dann zum ›Winter‹. Irgendwann würde ich aufstehen und Eis für die ballonartig anschwellende Beule an meinem Hinterkopf holen. Wenn ich Glück hätte, käme ich mit einem minimalen Gehirnschaden davon.
    »Du hast doch nicht versucht, Selbstmord zu begehen, oder, wie diese Schriftstellerin? Sag mir, dass du nicht Selbstmord begehen wolltest, Maus. Du würdest mir damit etwas Schreckliches antun.«
    »Was?« Ich kämpfte mich in die Sitzposition und blicktezu Mary Alice hoch. Weit hoch. Sie ist 1,83 Meter groß (sie sagt 1,86 Meter) und wiegt nach eigenem Eingeständnis 113 Kilo.
    »Ich weiß ja, dass ich in letzter Zeit, seit ich so viel mit Virgil zusammen bin, nicht mehr oft vorbeigeschaut habe, aber ich hätte nicht gedacht, dass du derartige Depressionen hast.«
    »Was zum Teufel quatschst du da?« Ich tastete versuchsweise meinen Hinterkopf ab. »Vielleicht habe ich eine Gehirnerschütterung, aber selbstmordgefährdet bin ich nicht.«
    »Aber was treibst du dann unter der Spüle?«
    »Ich habe ein paar von diesen Fliesen zurechtgedrückt. Sie klebten nicht gut, weshalb ich sie beschwert und mich ein paar Minuten draufgelegt habe.« Ich blickte nach unten und sah mein Erdnussbutter-Bananen-Sandwich zerquetscht an meinem T-Shirt kleben. »Eigentlich war ich gerade dabei, mein Mittagessen zu verspeisen. Und die Schriftstellerin, an die du gedacht hast, ist Sylvia Plath. Die hat den Kopf aber in den Backofen gesteckt, nicht unter die Spüle.« Ich streckte ihr eine Hand entgegen. »Hilf mir auf!«
    Schwesterherz packte mich mit diesen eisigen Händen, die den ganzen Trouble verursacht hatten, und zog mich hoch.
    »Wie kommt es, dass deine Hände so kalt sind?«, fragte ich, während ich langsam auf den Küchentisch zuging und mich auf einen Stuhl sacken ließ. Ich fand schnell heraus, dass sich der Schmerz auf ein Pochen reduzierte, wenn ich auf ruckartige Bewegungen mit dem Kopf verzichtete. »Du hast mich halb zu Tode erschreckt.«
    »Ich wollte mir Eis für eine Cola holen, und als ich mich umschaute, sah ich dich zur Hälfte unter der Spüle hervorschauen.«
    »Würdest du mir jetzt ein paar Eiswürfel holen? Einfach in ein Küchentuch gewickelt.«
    Sie öffnete den Kühlschrank. »Möchtest du auch eine Cola und Aspirin?«
    Ich nickte gedankenlos. Schmerz durchzuckte meinen Schädel.
    »Vielleicht habe ich wirklich was Ernsthaftes abbekommen«, sagte ich. Ich schloss erst das eine Auge und dann das andere. Sah ich mit dem linken ein wenig verschwommen?
    »Natürlich nicht. Das ist nur eine Beule.«
    Schwesterherz reichte mir die Cola, das Aspirin und ein Stück Küchenrolle mit Eiswürfeln. Ich schluckte das Aspirin und versuchte es noch einmal mit dem Augentest. Ich sah durch das Erkerfenster auf Woofers Iglu-Hundehütte. Erst mit dem rechten Auge. Okay. Dann mit dem linken. Ein paar kleine schwarze Punkte.
    »Ich habe schwarze Punkte vor meinem linken Auge«, sagte ich. »Ich denke, ich habe mir die Netzhaut verletzt.«
    Schwesterherz setzte sich mir gegenüber. »Das heißt gar nichts. Dir geht’s gut. Ich habe ständig solche Punkte. Einer sieht aus wie diese kleinen weißen Mehlwürmer, mit denen Großvater zu angeln pflegte. Hat immer diese Sonnenbarsche damit gefangen. Das kommt und geht.«
    »Du siehst weiße Mehlwürmer?«
    »Manchmal. Wie gesagt, das kommt und geht.«
    Ich drückte das Papierhandtuch mit dem Eis an meinen Hinterkopf und sah Mary Alice das erste Mal an, seit sie gekommen war. Das erste Mal richtig. Das eine Mal vom Boden aus zählte nicht.
    »Du siehst superschick aus heute«, sagte ich.
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