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Der Ministerpräsident - ein Roman

Der Ministerpräsident - ein Roman

Titel: Der Ministerpräsident - ein Roman
Autoren: Klöpfer , Meyer GmbH , Co.KG
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sprechen. Sie werde das Gesprochene später ohnehin bearbeiten und neu zusammensetzen. Das sei Tontechnik. Bearbeiten, glätten, dämpfen. Aus einzelnen Wörtern flüssige Sätze formen. Es handle sich nur um eine erste Klangprobe. Bitte sprechen Sie. Also fing ich an zu sprechen: Ich heiße Claus Urspring … Ich hatte einen Unfall … Ich weiß, dass ich Ministerpräsident bin und ich werde es auch bleiben …
    Sie schaute, je länger ich sprach, überrascht auf und fragte: Was mit meiner Aussprache sei?
    Meine Aussprache?
    Ihr Dialekt. Sie sprechen ohne Dialekt, sagte sie. Und sie berichtete das März, als er zu uns kam. Ich würde fast ohne jeden Dialekt sprechen. März blickte beunruhigt. Ohne Dialekt? Doch sie sagte, ihr gefalle das. Woraufhin März sie fragte, was sie damit meine? Sie meinte meinen schwäbischen Dialekt. Er sei kaum mehr hörbar. Jedenfalls viel schwächer als früher. März wirkte irritiert. Ihm war das noch gar nicht aufgefallen angesichts all der anderen Sorgen und Probleme. Nun auch noch ein Problem mit dem Dialekt. Ich sollte etwas sprechen. Und er stimmte ihr zu: so gut wie kein Dialekt. Und er bat mich, bitte mit Dialekt zu sprechen, so wie ich früher einmal gesprochen hatte. Wenigstens zur Probe. Ich hatte keine Ahnung, wie ich früher gesprochen hatte. Anscheinend Schwäbisch.
    März ging hinaus und telefonierte. Während die Tontechnikerin sagte: Ihr gefalle mein neuer Sprachduktus. Er gefalle ihr besser als der alte. Was das für ein neuer Sprachduktus sei? fragte ich, und sie antwortete: Es sei fast Hochdeutsch. Akzentfreies Hochdeutsch.
    Ich heiße Hannah, und sie reichte ihre Hand. Vielleicht reichte sie mir ihre Hand, weil ihr mein Hochdeutsch so gefiel. Es sei wirklich viel schöner und flüssiger als mein früheres Deutsch. Wie übrigens auch mein Englisch, das sich deutlich verbessert habe. Ihr zuliebe sprach ich einige Wörter: One, two, three … Und sie wirkte überrascht, wenn nicht angetan. Dass dies ein vernehmbares Englisch sei. Obgleich ich kaum wusste, wie sich das anhören sollte, ein vernehmbares Englisch. One, two, three … So hörte sich das an. Viel besser, viel treffsicherer als früher, meinte sie. Und dass sich mit der Aussprache des Englischen auch mein Deutsch verbessert habe. Und mit dem Deutschen wiederum mein Englisch. So als hätten beide Sprachen in mir neu zusammengefunden.
    Als März wieder hereinkam, brachte er Aufzeichnungen alter Reden von mir. Ich sollte mir das einmal anhören: Landtagsreden, Bundesratsreden, Wahlkampfreden. Wie sich ein schwäbischer Dialekt anhöre? So höre sich das an, ein echtes, reines Schwäbisch. So höre sich das an. Und wir hörten. Hannah blickte gequält, doch März sagte, das sei der Dialekt, den man erwarte, den man von mir kenne: liebenswert und warmherzig, beruhigend und beschwichtigend. Manchmal auch bekräftigend. In kleinen, kurzen, besänftigenden Silben. In aller Bescheidenheit spreche der Dialekt. Von Bierbank zu Bierbank, von Weinkrug zu Weinkrug. Der Dialekt sei Weinberge und Wiesen. Ein Dorffest. Ein redseliges Zusammensein. Von aufrechter Bestimmtheit und liebenswerter Sanftmütigkeit. Das sei mein Dialekt.
    Er rief Frau Wolkenbauer. Wie so etwas passieren könne? fragte er sie. Er verliert seinen Dialekt. Wie sie sich das erklären könne? Den Dialekt zu verlieren. Ob man etwas dagegen tun könne? Frau Wolkenbauer entgegnete: Dass man mich logopädisch umfassend untersucht habe. Dass man keine ernsthaften Sprachstörungen habe feststellen können. Keine sprechmotorischen Beeinträchtigungen bei Silben oder Lauten oder sonstige Beeinträchtigungen. Keine Anzeichen einer Aphasie. Oder Alexie. Doch März ließ nicht ab: Wie so etwas möglich sei? Den Dialekt zu verlieren. Und er ging mit Frau Wolkenbauer auf und ab.
    Frau Wolkenbauer: Was an einer hochdeutschen Aussprache auszusetzen sei?
    März: Dass das nicht meine Sprache sei.
    Frau Wolkenbauer: Dass meine Sprache neurologisch völlig in Ordnung sei.
    März: Dass das Schwäbische Teil meines Wesens und Teil meines Amtes sei. Dass die Öffentlichkeit das von mir erwarte.
    Frau Wolkenbauer: Dass es medizinisch nicht angezeigt sei, irgendetwas wegen meiner Aussprache zu unternehmen.
    März: Dass die Öffentlichkeit perplex auf mein Hochdeutsch reagieren werde.
    Frau Wolkenbauer: Dass man das hinnehmen müsse.
    März: Ob man vielleicht zusätzlichen medizinischen Rat einholen könne? Weitere Untersuchungen veranlassen könne? Oder Sprechunterricht in die
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