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Der Ministerpräsident - ein Roman

Der Ministerpräsident - ein Roman

Titel: Der Ministerpräsident - ein Roman
Autoren: Klöpfer , Meyer GmbH , Co.KG
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Sie sagte: Ich will zu meinem Mann. Sie sagte das zu Frau Wolkenbauer, die mir gerade Blut abnahm, und sie sagte das auch zu mir: Ich will zu meinem Mann. Und sie schaute mich an, als könnte ich ihr vielleicht weiterhelfen. Mein Mann. Also suchte ich mit ihr, nach ihrem Mann. Zumindest suchte ich mit meinen Augen. Ob er vielleicht irgendwo in der Nähe sein könnte. Oder draußen im Gang war. Doch sie ging nicht nach draußen, sondern blieb bei mir. Sie sagte: Die Bettdecke meines Mannes. Sie sei viel zu dünn. Und sie meinte meine Decke, die der Pfleger bitte wechseln solle. Oder die Infusionsflasche. Sie sei fast leer. Und in der Tat: Sie war fast leer. Und es war meine Infusionsflasche, nicht die Infusionsflasche eines anderen. Wenn Sie bitte danach schauen würden, sagte sie. Und der Pfleger schaute danach, und er schaute nach mir, als wäre ich in der Tat ihr Mann.
    Wenn sie Mann sagte, dann schnürte sie ihren Bauch zusammen und betonte jeden einzelnen Buchstaben. Mein Mann. Vorher machte sie eine kleine Pause. Um Luft zu holen oder Anlauf zu nehmen, um das zu sagen: mein Mann.
    Sie stand wie in einem Fundbüro. Als wollte sie einen Koffer abholen. Mein Mann. Oder sie saß stumm auf einem Stuhl. Ich bin auch noch da. So saß sie vor mir. Ich bin auch noch da. Sie fragte: Woran ich denke? Was mit mir sei? Warum ich nichts sage? Warum ich nicht zuhöre? Warum ich sie nicht anschaue? Warum ich mich verstecke? Warum ich ihren Namen nicht spreche? Warum ich sie nicht berühre? Und sie nichts frage? Und sie nicht anlächle? Oder streichle?
    März kam mir zur Hilfe. Er beruhigte sie und führte sie aus dem Zimmer. Später kam er zu mir zurück und sagte: Das werde wieder. Sie, meine Frau, sei nur ein wenig verstört. Verstört infolge meines Unfalls. Verstört wegen meines Zustandes nach dem Unfall. Verstört darüber, dass ich sie nicht mehr kenne. Oder kennen wolle? So viele Zahlen und Namen, die ich auf Anhieb kennen würde, Kontonummern und Telefonnummern, ja sogar die Telefonnummer meiner Frau, die ich ihr aufgesagt hatte – nur meine Frau selbst würde ich nicht mehr kennen. Das sei sehr schade.
    Doch das werde wieder, so März.
    Wer sie ist? Woher sie kommt? Seit wann wir verheiratet sind? Warum ich überhaupt verheiratet bin? Der Gedanke war mir fern. Verheiratet zu sein. Eine Frau zu haben. Oder von einer Frau gehabt zu werden. Ob das überhaupt notwendig sei? fragte ich März. Er antwortete: Nicht unbedingt notwendig, aber hilfreich, aus zahllosen Gründen. Auch aus politischen Gründen. Nicht zuletzt wegen des bevorstehenden Wahlkampfs. Es sei gut und richtig, wenn ein Ministerpräsident eine Frau habe.
    Man könnte genauso gut etwas anderes haben, dachte ich: Einen Hund. Ein Pferd. Oder ein Fahrrad … Oder Kinder. Und ich fragte März nach Kindern: Ob ich Kinder habe? Und er sagte: Nein. Und ich fragte: Ob meine Frau bei dem Unfall dabei gewesen sei? Und er sagte nein. Ob bei dem Unfall irgendjemand zu Schaden gekommen sei? Aber nein, so seine Antwort: Niemand sei bei dem Unfall zu Schaden gekommen, außer mir.
    März schlug vor, erst einmal andere Fragen anzugehen, zum Beispiel die Frage meines Kabinetts. Er legte mir eine Liste vor. Mein Kabinett. Was ein Kabinett ist? Es ist ein Beraterkreis. Ob ich das Wort Kabinett schon einmal gehört hätte? Es rief eine entfernte Erinnerung hervor. Eine Erinnerung an sonderbare Gestalten aus meiner Schulzeit. Daran erinnerte mich das, das Wort Kabinett. Mir kam das Wort Rarität in den Sinn. Rarität und Kabinett. Ein Raritätenkabinett. Doch März sagte: Mein Kabinett sei kein Raritätenkabinett, sondern ein Ministerkabinett. Er legte mir eine Liste mit Namen vor, die ich lernen sollte: elf Minister in zehn Ministerien. Und ich fragte: Warum nicht elf Minister für elf Ministerien? Und März antworte: Weil es einen Minister ohne ein eigenes Ministerium gibt. Und ich fragte: Ob das nicht traurig sei? Ein Minister, der gar kein eigenes Ministerium hat. Und März winkte ab und sagte: Das sei nun einmal so. Das sei ein weites Feld.
    Er zeigte mir Fotos. Ob mir manche Gesichter etwas sagen würden? Nein. Zum Beispiel der Finanzminister? Leider nein. Oder der Minister für Ernährung und Ländlichen Raum? Nein. Die Fotos sagten mir nichts. Oder sie sagten etwas anderes als das, was März hören wollte. Zum Beispiel der Minister für Wissenschaft, Forschung und Kunst. Er sah aus wie ein armes, überladenes Eselchen. So sah er aus. Doch März sagte, es sei nicht
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