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Der Ministerpräsident - ein Roman

Der Ministerpräsident - ein Roman

Titel: Der Ministerpräsident - ein Roman
Autoren: Klöpfer , Meyer GmbH , Co.KG
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ist. Und er lobte. Er lobte die Ärzte, er lobte die Pfleger, er lobte die Klinik. Heiligenberg. Er sagte: Das sei eine sehr gute Klinik. In nicht wenigen Fachbereichen sei die Klinik führend. Patienten aus aller Welt seien hier. Auf einem Korridor habe er sogar arabische Stimmen gehört. Und er las mir aus dem Klinikprospekt einige Sätze vor: Heiligenberg. Traumatologisches Schwerpunktkrankenhaus der Maximalversorgung. Fast ein wenig schwärmerisch sagte er das. Maximalversorgung. Mitten im Hochschwarzwald. Er zeigte mir den Prospekt. Damit ich eine Ahnung bekomme, wo ich überhaupt war. Nicht irgendwo, sondern in Heiligenberg. Ich blätterte in dem Prospekt und betrachtete die Fotos. Das Klinikum hoch erhoben im Schwarzwald. Unten im Tal liegt Nebel. Die Klinik aber steht in der aufgehenden Sonne. Ein Hubschrauber fliegt auf sie zu. Willkommen .
    Er fragte einen Pfleger, ob er stolz sei? Stolz? Worauf? fragte der Pfleger, und März deutete auf mich. Ob er, der Pfleger, nicht ein wenig stolz sei, mich behandeln zu dürfen. Claus Urspring. Der Pfleger nickte. Als er gegangen war, holte März erneut Akten hervor, die er mir vorlegte. Nur ein kurzer Blick, sagte er. Nur ein Blick. Ein leichtes Nicken, ein oder zwei Wörter, die ich vielleicht zu einem Vorgang im Groben sagen könnte – nicht mehr.
    Als Frau Wolkenbauer den Raum betrat, erklärte er ihr, dass das nur ein ganz kurzer Blick gewesen sei, den ich in eine Akte geworfen hatte, nur ein flüchtiger Blick, nicht mehr, erklärte er ihr, die sich entschieden gegen jedes weitere Aktenstudium verwahrte. Zumindest kein Aktenstudium in meinem gegenwärtigen Zustand. Einstweilen versteckte März die Akten in meinem Kulturbeutel. Wenn wir uns allein glaubten, dann holte er sie wieder hervor, um mir die Akten zu zeigen. Er las mir aus den Akten vor, und ich nickte – zustimmend. Oder nachdenklich, wenn auch er nachdenklich nickte.
    Dass er nicht drängen wolle, so März zu Frau Wolkenbauer, dass er vielmehr abschätzen wolle, wie viele Wochen die weitere Genesung noch dauern werde? Nicht Wochen, sondern Monate, antwortete Frau Wolkenbauer. Monate. Und März schwieg. Und er fragte sie, welcher Art meine Einschränkungen denn seien? Kognitive Einschränkungen, neurologische Einschränkungen und motorische Einschränkungen, erklärte Frau Wolkenbauer. Hinzu kam noch eine Einschränkung meines Gangs. Ein Hinken, das sich gezeigt habe. Julius März hatte es selbst bemerkt, als wir einige Schritte auf dem Flur gegangen waren. Aber du hinkst ja, hatte er gesagt und das den Ärzten gemeldet. Also auch noch ein Hinken. Auch das noch, sagte März.
    Er saß am Telefon und sagte: Ich sei auf dem Weg der Besserung. Es würden noch Untersuchungen durchgeführt. Er sehe diesen Untersuchungen mit Zuversicht entgegen. Mein Zahlengedächtnis sei schon wieder so gut wie früher. Er kennt PIN-Nummern, Telefonnummern und Postleitzahlen. Auch Geburtstage. Und historische Jahreszahlen. Er spricht ganze Sätze. Er weiß, dass er Ministerpräsident ist, und er will es auch bleiben. Sagte März. Er sagte auch, dass ich in vielen Dingen schon wieder ganz der Alte sei. Claus Urspring, wie man ihn kennt. Und auch zu mir sagte er, dass ich schon fast wieder der Alte sei. Claus Urspring. Wie er leibt und lebt.
    Er ließ Frau Wolkenbauer wissen, dass in zwei Wochen ein Termin sei. Was für ein Termin? fragte Frau Wolkenbauer. Ein politischer Termin, so März. Frau Wolkenbauer lehnte das ausdrücklich ab, und März beschwichtigte, dass ich die Klinik deshalb nicht zu verlassen brauchte. Es wäre nur hilfreich, wenn ich ein paar Worte sprechen würde, zu einigen Delegierten, so März, Delegierte des Landesparteitags. Man sei in Sorge um mich, und ein paar wenige Worte von mir wären äußerst wichtig. Nur ein paar wenige allgemeine Worte, als Videoaufzeichnung gesprochen, was Frau Wolkenbauer ebenfalls ablehnte. Nicht in meinem gegenwärtigen Zustand. März meinte persönliche Worte, keine politischen Worte, was Frau Wolkenbauer trotzdem verweigerte. Weshalb März vorschlug, wenn schon kein Grußwort, dann vielleicht eine Filmeinspielung, wie ich einige Meter im Klinikpark laufe: erste Gehbilder fortschreitender Genesung. Genau das, was man von einer Genesung erwarte. Oder, statt eines Grußwortes, ein einzelnes Grußbild: nicht im Krankenbett, nicht im Pyjama, auch nicht im Bademantel, sondern im Trainingsanzug auf einem Stuhl sitzend. Ein leichtes Winken. Wie zum Gruß.
    Eine Frau kam ins Zimmer.
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