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Der Ministerpräsident - ein Roman

Der Ministerpräsident - ein Roman

Titel: Der Ministerpräsident - ein Roman
Autoren: Klöpfer , Meyer GmbH , Co.KG
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Trotzdem nickte ich. Bis Frau Doktor Wolkenbauer mir das Notizheft aus der Hand nahm und all die Striche sah, die ich gemacht hatte: Verstehe ich nicht . Warum ich dann trotzdem die ganze Zeit genickt hätte? Wenn ich sie gar nicht verstehen würde. Um ihr eine Freude zu machen, antwortete ich.
    Dass ich einen Autounfall gehabt hatte. Dass dabei einiges passiert sei, insbesondere in meinem Kopf und mit meinem Gedächtnis. Dass ich zehn Tage im Koma gelegen hätte. Dass ich erst seit Kurzem wieder wach sei. Dass alle Welt bestürzt und besorgt gewesen sei – und ohne Worte. Wegen meines Unfalls.
    Unfall?
    Jawohl, Unfall.
    Doch ich verstand nicht Unfall, sondern Umfall, und ich fragte März, was das bedeute, ein Umfall? Und März lächelte und sagte: Dass das kein Umfall gewesen sei, den ich hatte, sondern ein Unfall. Das sei ein Unterschied. Er beäugte die Infusionsflasche und blätterte in Akten. So nannte er die Papiere auf seinem Schoß. Akten. Er grüßte. Er grüßte von Mitarbeitern und Freunden. Er grüßte von seiner Frau und von zahllosen Namen. Er grüßte mit zählenden Fingern. Er grüßte, bis ich müde wurde.
    Ein Blumenstrauß stand auf meinem Nachttisch. Auf einem anderen Tisch standen weitere Blumensträuße. Blumenstrauß neben Blumenstrauß. Nie sah ich so viele Blumensträuße. Während März telefonierte: Dass es mir täglich besser gehe. Dass mein Zahlengedächtnis sehr zufriedenstellend sei. Angesichts der Schwere des Unfalls. Dass ich zum Beispiel die Nummern meiner Scheckkarten kennen würde. Dass ich die Blumen auf meinem Nachttisch riechen könne. Dass das ein gutes Zeichen sei, habe ihm die Ärztin versichert. Dass ich immer deutlicher sprechen würde. Nur hin und wieder verwechselt er noch Namen und Zeiten und Gesichter. Doch das wird wieder. So März.
    Er wich nicht von meiner Seite. Ob er mir etwas bringen dürfe? Etwas zu trinken? Oder sonst irgendetwas? Ich verneinte. Er saß bedächtig auf einem Stuhl und beobachtete alle im Raume befindlichen Apparaturen. Zum Beispiel die Anschlüsse über meinem Bett: Sauerstoff . Vakuum . Druckluft . Er berührte die Anschlüsse mit seinen Fingern – ehrfurchtsvoll. Oder er lief durch das Zimmer und zählte Blumensträuße. Siebzehn Blumensträuße. Allein nur in meinem Zimmer. Und weitere Blumensträuße standen oder warteten vor dem Zimmer. Er zählte nicht nur Blumensträuße, sondern auch Infusionsflaschen. Drei verschiedene Infusionen, die mir zugeführt wurden. Und er erzählte mir, dass gleich nach dem Unfall acht verschiedene Schläuche in mir gewesen waren: Beatmungsschlauch, Magensondenschlauch, Katheterschlauch, Drainageschlauch und vier Infusionsschläuche.
    Und er erzählte mir von Mitpatienten, die er, März, in der Klinik gesehen hatte, alles nette und respektable Patienten: Schauspieler, Bankiers, Universitätsprofessoren … Auch ein Fußballspieler. Selbst Patienten aus Amerika. Mancher Patient ließ grüßen. Und ich grüßte zurück. Wer immer dieser oder jener Patient, der mich grüßte, auch sein mochte. Ich grüßte zurück. Über manche Patienten, die März gesehen hatte, sprach er flüsternd: Auch so ein …
    Wie bitte?
    Auch so ein …
    Auch so ein wer?
    Auch so ein (geduckt gesprochen) Versehrter . Fast jeder Patient, von dem er sprach, war ein Auch. Auch so ein Fall. Auch so eine Sache. Auch so ein Unglück.
    Und er zählte wieder Blumensträuße. Mehr als zwanzig Blumensträuße, die nun in meinem Zimmer standen. Er behandelte diese Blumen wie überfällige Gaben. Na also, sagte März, wenn ein neuer Blumenstrauß hereingetragen wurde. Na also. Als ob es höchste Zeit wäre. Und er sprach erneut ein Auch: Auch gut, wenn eine Topfpflanze hereingebracht wurde. Oder: Auch so ein Fall. Wenn der Hubschrauber neue Patienten in die Klinik brachte. Oder er sagte: Oder. Es geht doch, oder? Oder er sagte denn . Geht es denn ? Danke ja, es ging denn . Oder wenn nicht denn , dann bereits oder schon …
    Denn, bereits, schon – fragte er die Ärztin. Er wolle nicht beunruhigen. Doch es müssten einige Akten verlesen werden. Und Unterschriften geleistet werden. Nur ganz wenige, jedoch sehr wichtige Unterschriften. Unterschriften von einiger Tragweite. Doch Frau Wolkenbauer verbot das, und Julius März packte die Akten wieder zusammen. Für einige Zeit wirkte er devot. Er half den Schwestern beim Abräumen des Essens. Mit leichten Verbeugungen stand er auf und öffnete ihnen die Tür. Deutete federnden Schrittes an, wie gesund er
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