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Der Ministerpräsident - ein Roman

Der Ministerpräsident - ein Roman

Titel: Der Ministerpräsident - ein Roman
Autoren: Klöpfer , Meyer GmbH , Co.KG
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wesentlich, wie er aussehe. Wichtig sei, dass er Minister sei, Minister für Wissenschaft, Forschung und Kunst. Ein anderer Minister sah aus wie ein alter Klassenkamerad von mir. Ein Schulfreund namens Gernold Strobel. So beherzt blickte mich dieser Minister an. Wie Gernold Strobel. Eifrig, zuvorkommend und zu allem bereit. Doch war dies nicht Gernold Strobel, sondern der Minister für Kultus, Jugend und Sport.
    Es glich dem Vokabellernen in der Schule: die Namen der Ministerien, die ich lernte, und die Namen der Minister, die ich ebenfalls lernte, wie auch die dazugehörigen Gesichter. Jeder Minister hatte Eigenschaften, die März mir nannte: Finanzminister – bockig; Wirtschaftsminister – willig; Kultusminister – eifrig; Justizminister – rechthaberisch. März malte mit roter Tinte Ausrufezeichen. Vorsicht! Justizminister! Vorsicht! Schwierig! Wie Warnschilder auf einer Straße. Und er deutete mit einem langen Stift auf das Wort Staatsministerium. Was dieses Ministerium sei? Was dieses Ministerium bedeute? Was dieses Ministerium mache? Es plane, es koordiniere, es regiere, es empfehle, es helfe, es berate: den Regierungschef, den Landesvater, den Ministerpräsidenten – einen Menschen wie mich.
    All das machte mich müde. Ich betrachtete viel lieber Bildbände von Landschaften. Zum Beispiel den Bodensee. Oder den Rhein. Ich betrachtete wunderschöne Mädchen, die von einem Boot ins Wasser springen. Mit fliegenden Haaren und nassen Badeanzügen. Ich wollte viel lieber diese Bilder sehen statt Ministerbilder. Auch Frau Wolkenbauer war gegen die Ministerbilder. Sie seien gegen jede Abmachung. Sie störten den Therapieverlauf. Also nahm sich März zurück und versteckte die Kabinettslisten und Ministerbilder unter meiner Bettdecke. Wenn er sich unbeaufsichtigt glaubte, dann holte er sie wieder hervor und fragte mich ab.
    Ein Arzt trat an mein Bett. Ich hatte ihn bislang noch nicht gesehen. Er sagte: Wenn Sie bitte Ihr Bein freimachen würden, Herr Ministerpräsident. Dann untersuchte er mein Bein. Ob das schmerzhaft sei? Er überprüfte die Innen- und Außenrotation der Hüfte. Er bat mich aufzustehen. Ich sollte einige Schritte gehen. Dabei beäugte er meinen Gang – kommentarlos. Oder auch nicht kommentarlos. Er sagte einige Worte zu Frau Wolkenbauer. Und auch zu März. Auch das noch, sagte März. Und ich hätte ihn gerne gefragt: Was denn sonst noch? Doch März hatte nur noch Ohren für den Arzt, der mehr zu März sprach als zu mir. Er veranlasste eine zusätzliche Röntgenuntersuchung: eine Untersuchung der rechten Hüfte. Um ganz sicher zu gehen. Wegen meines schiefen Gangs. Wahrscheinlich eine Nebenverletzung im Gefüge all der anderen Verletzungen. So der Arzt.
    Als er später die Röntgenbilder mit Frau Wolkenbauer an meinem Bett besprach, war die Rede von einer Veränderung. Wo? Hier. Eine Veränderung des Hüftkopfes. Diagnostisch eindeutig. Er habe sich die Aufnahmen immer wieder angeschaut, die Röntgenbilder auf dem zentralen Klinikcomputer noch einmal vergrößert. Man sollte das im Auge behalten. Womöglich eine Durchblutungsstörung des Hüftkopfes. Infolge einer partiellen Fraktur. Und er veranlasste weitere Untersuchungen, eine MRT-Untersuchung. Eine solche Untersuchung könnte weitere Aufschlüsse geben. März wirkte besorgt. Was das bedeute, eine Durchblutungsstörung des Hüftkopfes? Ob das eine ernstere Sache sei? Oder nur vorübergehend? Der Arzt reagierte ausweichend. Man müsse die weiteren Untersuchungen abwarten. Und er ging.
    Einstweilen erlaubte Frau Wolkenbauer, vielleicht um März zu beruhigen, eine kurze Rundfunkansprache, die ich von meinem Bett aus sprechen durfte. Nur ein, zwei Minuten. Ein paar wenige Sätze. Nicht mehr.
    Eine Frau kam zu mir. Sie sagte, sie sei Konferenz- und Tontechnikerin. Sowie Redenschneiderin. Redenschreiberin? Nein, sagte sie, nicht Redenschreiberin, sondern Redenschneiderin . Sie schneide Reden. Das sei ein Unterschied. Oder auch nicht. Je nachdem. März habe sie kommen lassen. Um mit mir einige erste Aufzeichnungen zu machen. Für die Rundfunkansprache. Vielleicht auch für eine kurze Fernsehansprache mit Standbild. Das werde sich noch erweisen. Sie breitete Kabel und Mikrophone aus und bereitete ihr Aufnahmegerät vor. Sie hielt mir ein Mikrophon entgegen und sagte: Ich solle etwas sprechen. Irgendetwas sprechen, für eine erste Tonaufnahme. Mir fiel nichts ein. Sie sagte, es sei völlig belanglos, was ich sprechen würde, ich solle nur irgendetwas
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