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Der Ministerpräsident - ein Roman

Der Ministerpräsident - ein Roman

Titel: Der Ministerpräsident - ein Roman
Autoren: Klöpfer , Meyer GmbH , Co.KG
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Momente sah und über die ich erschrak. Und sie sah, was ich sah, doch ihre Augen lächelten.
    Ich erinnerte mich an die Boshaftigkeit, mit der ich sie die folgenden Tage behandelt hatte. Ich nahm ihr das Essen und verschlang es vor ihren Augen. Das machte ihr nichts aus, denn sie war eine schlechte Esserin. Ich steckte ihr meine Hamster unter die Bettdecke und sprach von Ratten. Ich warf mit Legosteinen nach ihr, schüttete Sprudel über ihr Haar, nahm ihr die Bettdecke. Sie hielt diesen Gemeinheiten lange stand, doch eines Tages fing sie an zu weinen, fast unmerklich, mit unverzerrtem Gesicht. Sie saß aufrecht und schaute mich an und weinte. Ihre Tränen tropften auf ihren Hals und verschwanden unter ihrem Nachthemd. Ich dachte … Ich stand … Ich wollte … Sie streckte ihre Hand aus und zog mich zu sich. Wir lagen unbewegt in ihrem Bett. Minutenlang. Ohne ein Wort. Ich stellte mir vor, dass wir an einem See stehen und in fester Umarmung ins Wasser fallen, in die Tiefe sinken und uns so lange küssen, bis unsere Lungen voller Wasser sind …
    Erinnerungen.
    Später kam ein Arzt aus der Orthopädie mit den Ergebnissen der MRT-Untersuchung der Hüfte. Bei der MRT-Untersuchung habe sich ein orthopädischer Befund ergeben. Hüfte rechts. Der Befund passe zu einer posttraumatischen Osteonekrose des Hüftkopfes.
    März, der nun wieder bei mir saß: Was das heiße?
    Der Hüftkopf sei nicht ausreichend durchblutet, so der Arzt.
    März: Was das bedeute?
    Man müsse mich möglicherweise operieren. Das Bein umstellen. Man nenne das Umstellungsosteotomie. Das Bein werde in einen neuen Winkel gestellt. Die Durchblutung und Durchdringung des Hüftkopfes könnte dadurch verbessert werden.
    März fragte, wie gravierend eine solche Operation sei? Und der Arzt räumte ein, dass eine solche Operation massiv sei. Man müsse den Hüftkopf komplett umstellen. Es würde nach der Operation einige Zeit dauern, bis ich ohne Gehhilfen wieder laufen könnte … März war außer sich. Der Wahlkampf stehe vor der Tür. Ob er, der Arzt, eine Ahnung habe, was ein solcher Wahlkampf bedeute? Dass der Spitzenkandidat in einem solchen Wahlkampf immerzu gehen müsse, in aller Öffentlichkeit, auf Volksfesten und Marktplätzen. Dass das nicht irgendein Gehen sei, das man in einem Wahlkampf zu sehen wünsche, sondern (je nach Lage) ein Schreiten oder ein energisches Vorankommen oder ein sportliches Eilen: von Termin zu Termin, Bühne zu Bühne, Hubschrauber zu Dienstwagen, Dienstwagen zu Hubschrauber – dass jede Hinfälligkeit hierbei fatal sei, den Wahlkämpfer auf den ersten Blick desavouiere und entlarve. Für die Opposition ein Volksfest der Bemitleidung und Herablassung. Dass ein Wahlkämpfer zwei Dinge jederzeit beherrschen müsse: Sprechen und Gehen …
    Und er fügte hinzu: Dass eine solche Operation nicht in Frage komme. Jedenfalls nicht zum jetzigen Zeitpunkt. Nur wenige Wochen vor Beginn des Wahlkampfes. Er rief Frau Wolkenbauer, schilderte ihr die Operationspläne der Chirurgen. Dass er einer solchen Operation nicht zustimmen werde. Was immer sie oder ihre Kollegen auch an Gründen für eine solche Operation vorbringen könnten. Und Frau Wolkenbauer erwiderte, dass diese Operation nur eine allerletzte Option sei, dass man fürs Erste auch abwarten und andere Behandlungsmöglichkeiten ins Auge fassen könne, zum Beispiel Krankengymnastik. Und März sagte: Jawohl, Krankengymnastik. Wenn Sie das bitte veranlassen würden.
    Dann sprach März wieder von der Rundfunkansprache. Die Gerüchte über meinen Zustand seien überbordend. Ein oder zwei Worte von mir persönlich wären deshalb äußerst hilfreich. Worte an die Öffentlichkeit. Worte der Genesung und der Dankbarkeit. Dankbarkeit sei das Wort. Und er fügte hinzu: Meine Frau. Stefanie. Sie warte draußen auf dem Gang. Sie komme mich besuchen. Sie sei sehr traurig.
    Ich war müde. Und Frau Wolkenbauer sagte: Wenn er seine Frau nicht sehen will, dann muss er sie auch nicht sehen. Selbst wenn sie seine Frau ist. Sagte Frau Wolkenbauer. Und sie schickte März nach draußen. Er nahm das hin.
    Als er später wieder bei mir war, sagte er, Stefanie sei nun gegangen. Dass das sehr schade sei, dass ich meine Frau nicht sehen wolle. Vielleicht sagte er auch: sie nicht kennen wolle. Dass sie trotz allem meine Frau sei.
    Ich wollte antworten: Muss ich der Mann einer Frau sein, nur weil ich ein Mann bin und eine Frau ins Zimmer kommt und sagt: Ich will zu meinem Mann.
    Dass ich vielleicht gar nicht
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