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1813: Die Völkerschlacht und das Ende der alten Welt (German Edition)

1813: Die Völkerschlacht und das Ende der alten Welt (German Edition)

Titel: 1813: Die Völkerschlacht und das Ende der alten Welt (German Edition)
Autoren: Andreas Platthaus
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    13. Schlachtenbummler: Vier Tage im Oktober, fast zweihundert Jahre später
    Am 16. Oktober 2012, hundertneunundneunzig Jahre nach der Völkerschlacht, dämmert der Tag kurz vor sieben Uhr. Noch ist Sommerzeit, die gab es 1813 nicht, also wäre es entsprechend erst knapp sechs. Die Himmelsfärbung setzt ein, das erste Licht erscheint am Rand der Ebene im Südosten von Leipzig. Die Verkehrsgeräusche schwellen an, moderat, es ist ein Dienstag, aber es sind auch Herbstferien in Sachsen.
    Vier Tage lang werde ich mich auf die Spuren der Völkerschlacht begeben, auf das, was heute noch von ihr übrig ist oder was an sie erinnert. Jene vier Tage lang, an denen vor hundertneunundneunzig Jahren die Kämpfe stattfanden, an jenen Plätzen, die besonders bedeutsam waren, und möglichst zu jenen Zeitpunkten, an denen sie stattfanden. Das wird allerdings nur bedingt möglich sein, obwohl mir ein Auto und der öffentliche Personennahverkehr zur Verfügung stehen, während die Kombattanten von 1813 bestenfalls Pferde oder Kutschen und meist nur ihre Füße zur Verfügung hatten. Aber ungeachtet größerer Schnelligkeit beim Fortkommen bewege ich mich allein, und die Völkerschlacht war ein synchrones Phänomen: Zahlreiche Ereignisse spielten sich gleichzeitig ab, und das an Orten, die bis zu zwanzig Kilometer Luftlinie voneinander entfernt liegen. Und als Schlachtenbummler werde ich auch weitgehend allein bleiben – an den meisten Gedenkorten rund um und in Leipzig ist es einsam, die einzige veritable Touristenattraktion unter den historischen Stätten ist das Völkerschlachtdenkmal. Das wird sich zwar zum zweihundertsten Jahrestag der Kämpfe ändern, und genau dafür werden die Denkmale schon eifrig herausgeputzt, doch auch 2013 werden etliche Monumente und ehemalige Kriegsschauplätze bestenfalls für ein paar Tage aus ihrem Dornröschenschlaf erwachen und danach wieder bis zum nächsten Jubiläum vergessen sein. Dabei ermöglicht der Weg auf den Spuren der Völkerschlacht noch ein ganz anderes Verständnis für das Geschehen von 1813 als das Studium von Büchern oder Quellen.
    Heute gehören die ehemaligen Schlachtfelder fast zur Gänze zum Leipziger Stadtgebiet, und dementsprechend ist zu großen Teilen bebaut, was 1813 noch freies Feld war. Unterbrochen war es damals nur von einzelnen Dörfern oder Höfen, die mittlerweile zu Stadtteilen geworden sind: Paunsdorf etwa, Meusdorf, Möckern, Gohlis, Wahren, Großzschocher, Stötteritz, Thekla, Eutritzsch – alles nun Endstationen der Linien des Leipziger Straßenbahnnetzes, das dadurch selbst wie ein Gedächtnisspeicher wirkt. Taucha, Markkleeberg und Schkeuditz, auch sie Endhaltestellen, sind noch selbständige Gemeinden, aber nur wenige Hauptereignisse der Völkerschlacht spielten sich außerhalb des heutigen Leipziger Stadtgebiets ab. Innerhalb seiner Grenzen wohnen 2012 mehr als eine halbe Million Menschen (am 31. Juli 2012 waren es laut amtlicher Statistik 535316), ein Vielfaches der Einwohnerschaft von 1813, doch gebaut ist Leipzig für noch größere Massen. Im Jahrhundert nach der Völkerschlacht erlebte die Stadt als Handels- und Industriemetropole eine Bevölkerungsexplosion: Bei der Reichsgründung 1871 hatte sich die Einwohnerzahl gegenüber dem Beginn des neunzehnten Jahrhunderts schon auf hunderttausend verdreifacht, und danach war gar kein Halten mehr. Schon 1890 waren es, bedingt durch Zuzug, Kinderreichtum und Eingemeindungen, dreihunderttausend, 1895 noch einmal hunderttausend mehr, und 1905 war die halbe Million erreicht. Sechshunderttausend Einwohner zählte die Stadt unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg, und den Höhepunkt bezeichnete das Jahr 1930, an dessen letztem Tag knapp siebenhundertzwanzigtausend Menschen in Leipzig lebten. Danach sorgten Wirtschaftskrise, Nationalsozialismus und vor allem der Zweite Weltkrieg für einen Rückgang auf unter sechshunderttausend, und bis zum Ende der DDR nahm diese Zahl weiter ab bis auf fünfhundertdreißigtausend am 31. Dezember 1989. Die folgende massive Abwanderung gen Westen drückte seit dem Jahr der Wiedervereinigung die Bevölkerungszahl bis 1998 auf unter vierhundertvierzigtausend, ehe durch neue Eingemeindungen (schon 1999 hatte man wieder fast vierhundertneunzigtausend) und danach vor allem durch kontinuierlichen Zuzug der bis heute anhaltende Zuwachs einsetzte.
    Dennoch stehen im Stadtgebiet immer noch zahlreiche Häuser leer, denn die riesigen Wohngebiete, die in der
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