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Der Ministerpräsident - ein Roman

Der Ministerpräsident - ein Roman

Titel: Der Ministerpräsident - ein Roman
Autoren: Klöpfer , Meyer GmbH , Co.KG
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jetzigen Stadium nicht mehr hilfreich. Also besser in einem Konferenzraum der Klinik. Doch würde dann Zix meinen Gang entdecken. Zix habe einen Blick dafür. Zix sei ein Bewegungsmensch. Er habe einen Blick für Bewegungen. So März, der hinzufügte: Das Schlimmste an meiner Lage, das sei Zix. Zix sei anmaßend. Zix scharre mit den Hufen. Zix sei eine lauernde Gefahr. Ein Unruhebringer. Er sei wie ein Schatten in einem unheilvollen Röntgenbild. Das sei Zix.
    Er zeigte mir Fotos von ihm: Zix. Was ich dazu sagen würde? Zu seiner wuchtigen Stirn. Sie erinnerte März an eine Diesellokomotive. Eine Aura von Rädern und Schienen umgebe Zix. Sein Blick gebiete uns, auf den Gleisen seiner unaufhaltsamen Fahrt niederzuknien: Hört die ungeheure Drehzahl meines Motors. Seht die vertrockneten Mücken, die meiner Fahrt in die Quere kamen. Beugt euch dem Rausch meiner Geschwindigkeit. Das sei Zix. März nannte mir Charaktereigenschaften, die ich aufschreiben sollte. Zix sei ordoliberal, monetaristisch, transatlantisch … Und noch einiges mehr. Ich sollte mir das merken. Ich sollte das aufsagen. Ich sollte das beherzigen.
    Das Treffen fand im Gymnastikraum der Klinik statt. Man hatte mich auf ein Fahrradergometer gesetzt, auf dem ich – bei 90 Watt – in lockerem Tempo pedalierte, so als wäre das kaum mehr einer Anstrengung wert. So weit sei meine Genesung bereits vorangekommen. Als Zix das sah, wirkte er perplex. Vielleicht hatte er mit einem Besuch an einem Krankenbett gerechnet, in das er tief gebeugt seine Anteilnahme sprechen wollte. Nun saß ich auf einem Fahrradergometer. Es gab nicht einmal einen Stuhl für ihn. Man bot ihm an, sich auf das nebenstehende Ergometer zu setzen. Er setzte sich und reichte mir die Hand. Grüßte von der gesamten Fraktion. Sagte: Wie schockiert er von der Nachricht meines Unfalls gewesen sei. Wie sehr der Anblick des zertrümmerten Wagens ihn entsetzt habe. Wie betroffen die gesamte Partei und Fraktion gewesen sei. Dass er für mich in einer Kirche beim Landtag eine Kerze angezündet habe. Eine Kerze … Und er fing an zu pedalieren. So saßen wir nebeneinander: gemeinsam pedalierend. Fotografen fotografierten das. Und ich sprach die Worte ordoliberal, monetaristisch, transatlantisch …, und März nickte vehement. Und ich fügte hinzu, dass es mir besser gehe, dass ich täglich übe, dass ich Ministerpräsident bin … und es auch bleiben werde … Doch Zix, er hörte kaum zu. Er atmete schwer. Seine Krawatte hing über dem Lenker. In seinem dunklen Anzug fing er an zu schwitzen. März hatte sein Ergometer auf 200 Watt gestellt. Zix musste mit aller Kraft in die Pedale treten, wie bei einer Bergfahrt. Nach wenigen Minuten stieg er ab. Wegen dringlicher Termine. In der Fraktion. Und auch anderswo. Er verabschiedete und verbeugte sich. Er schien mit meiner Genesung zufrieden. Das Einzige, was er anmerkte, das war mein Deutsch. Was spricht er plötzlich für ein hochdeutsches Deutsch?
    Doch März kam zu keiner Erklärung meines Deutschen, denn Zix war schon auf dem Weg aus dem Krankenhaus, hinaus auf den klinikeigenen Hubschrauberlandeplatz, wo sein Hubschrauber auf ihn wartete. Er flog mit großem Lärm über uns hinweg.
    März war ausgelassen. Er ließ Kaffee und Kuchen bringen. Er hielt sogar vor Ärzten und Pflegern eine kleine Ansprache. Er dankte, er lobte – später telefonierte er. Dass er zuversichtlich sei. Zuversichtlicher als je zu zuvor. Dass ich in manchen Momenten schon fast wieder Claus Urspring sei. Claus Urspring wie in alten Tagen.
    Später setzte sich meine Frau an mein Bett. März trippelte hinaus. Dabei wirkte er verlegen. Und ein wenig feierlich. Meine Frau und ich. In einem Zimmer. Sie streichelte ihren Ehering. Jetzt, da es mir besser gehe, sagte sie, jetzt könne ich mich vielleicht ein wenig erinnern. Wer wir seien. Was uns verbinde. Was sie mir alles bedeute. Trotz alledem.
    Warum ich nicht antworte? Warum ich ihr keine Fragen stelle? Nicht einmal die Frage, wie es ihr die letzten Wochen ergangen sei. Nicht eine Frage dazu. Und auch keine sonstigen Fragen.
    Und wieder Stille.
    Wie verletzend das alles sei, sagte sie. Einfach vergessen zu werden, aus dem Gedächtnis getilgt, nach einem einzigen Unfall. Als ob die Jahre davor nie stattgefunden hätten. Viel schlimmer als nur verlassen zu werden. Als ob nie etwas gewesen wäre. Nicht einmal in der Erinnerung. Nicht einmal das.
    Eine Stille, die ich plötzlich kannte. Auch wenn ich meine Frau nicht mehr kannte. Doch
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