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Der Ministerpräsident - ein Roman

Der Ministerpräsident - ein Roman

Titel: Der Ministerpräsident - ein Roman
Autoren: Klöpfer , Meyer GmbH , Co.KG
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Dass ich Ministerpräsident bin, dass ich einen Unfall hatte, dass eine Zeitschrift darüber geschrieben hatte, über mich und meinen Unfall … Dass die Zeitschrift geschrieben hatte, dass nach dem Unfall die Sonne geschienen habe und der Himmel hoch und blau gewesen sei und in einer Einfahrt Kinder gestanden hätten, die gewinkt hatten … Und ich fragte sie, was das mit meinem Unfall zu tun habe, die Sonne und der blaue Himmel und die winkenden Kinder, was das mit meinem Unfall zu tun habe. Ob die Zeitschrift irgendeine Ahnung habe, was ein Unfall ist und was ein Unfall bedeutet. Dass Menschen in einem Unfall sitzen und keine Buchstaben.
    Das sagte ich. Und Hannah antwortete: Bitte weiter! Also sagte ich: Dass mir nichts mehr einfalle, doch mir vielleicht später noch etwas einfallen könnte, wenn ich lange genug weiterspräche … Sie nickte. Also sprach ich weiter. Jedes Wort, das ich sprach, klang wie eine Entschuldigung. Eine Entschuldigung dafür, dass ich bei ihr saß und irgendetwas sprach und sie dabei anschaute.
    Wie sich das anhöre? – fragte ich. Menschlich, sagte sie. Sie war mit den Aufnahmen zufrieden. Sie sagte, das seien gute Aufnahmen. Und ehrliche Aufnahmen. Das sei zumindest ein Anfang. Doch als März die Aufnahmen hörte, sagte er: Das ist viel zu sprunghaft und launisch. Das sei keine Rede. Das sei nicht der Urspring, den die Leute kennen und erwarten. Man harre der Stimme Ursprings, aber fast nichts sei im Moment von Urspring zu hören. In meiner Stimme sei zu wenig Urspring.
    Dann sei es eben ein anderer Urspring, sagte Hannah.
    März: Man würde mich kaum wiedererkennen.
    Hannah: Ob das so schlimm sei?
    März: Natürlich sei das schlimm. Man könne nicht nach jedem Satz, den ich spreche, hinzufügen: Das sei übrigens Urspring, der da spreche. Leider nicht mehr der alte Urspring, sondern ein neuer Urspring. Das sei politischer Selbstmord. Ich klänge viel zu leise, zu schüchtern, zu verhalten, zu zögerlich.
    Hannah: Was daran so schlimm sei?
    März: Man müsse mein politisches Wesen deutlicher zum Vorschein bringen. Ob es dafür Sprechübungen gebe?
    Hannah: Sprechübungen?
    März: Um in meine Stimme einen politischen Ton zu bringen.
    Hannah sprach von Zungenschleuderübungen.
    März: Was sind das für Übungen?
    Hannah: Man schleudert mit der Zunge Tatsachen entgegen. Wie Peitschenhiebe. Und dies und das und doch … Derart.
    März nickte: Ja, bitte solche Übungen!
    Hannah sprach auch von Gähnübungen – gelangweiltes, blasiertes, abwinkendes Gähnen: Aber nein, ach was, ach wo …
    März wollte auch diese Übung. Er bestellte sie wie ein Mittagessen. Und er kam erneut auf das Schwäbisch zu sprechen. Ob man nicht wenigstens einen andeutungsweise schwäbischen Akzent in meinen Duktus einbauen könne? Oder Relikte eines solchen Akzents irgendwie retten könne?
    Sie sprach von Lokomotivübungen. Das Zischen von Dampflokomotiven: s, sch, psch, pscht … Oder ein jahrelanges Waschen. Als würde man jahrzehntelang Steine in einer Waschmaschine waschen …
    Später sagte sie: Es sei ein Fehler, einem hochdeutsch Sprechenden ohne Not einen schwäbischen Akzent anzutrainieren.
    März: Der bevorstehende Wahlkampf sei eine Not. Eine gewaltige Not. Eine Not für ihn, eine Not für mich, eine Not für die Partei. Wenn nicht in den nächsten Tagen eine eindrückliche Rede gelinge, dann sei das Vertrauen erschüttert. Die Rede sei eine Unabwendbarkeit. Sie müsse baldmöglichst, wenigstens in groben Zügen, vorliegen.
    Er erklärte: Dass die Ansprache eine Gratwanderung sei. Am Anfang der Ansprache müsse die Betonung auf Genesung liegen: Genesung, Genesung, Genesung. Spaziergänge, Gespräche mit Freunden, innige Beschäftigung mit philosophischen Themen oder philosophischen Werken … Genesung, Freude und Dankbarkeit … Im zweiten Teil dann: Angeschlagenheit. Zerbrechlichkeit. Noch eine gewisse Schonung … Im Schlussteil der Ansprache wieder Zuversicht und Freude auf das Amt. Also eine ständige Zweiteilung: Angeschlagen und doch genesen. Oder wenigstens so gut wie genesen. Wenn auch noch nicht völlig genesen. Angeschlagene Gesundheit und gesundende Angeschlagenheit. Derart. Die Zuhörer zwischen Mitgefühl und Zuversicht. Mitgefühl mit dem verunglückten, dem verletzten, dem leidenden Urspring. Sobald man jedoch einwendet: Ob ein solcher Mensch überhaupt in der Lage sein kann, Ministerpräsident zu sein, dann wieder Stärke, Festigkeit, Zuversicht und Lebenskraft – bis man sich wieder
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