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Der Maya-Kalender - die Wahrheit über das größte Rätsel einer Hochkultur

Titel: Der Maya-Kalender - die Wahrheit über das größte Rätsel einer Hochkultur
Autoren: Bastei Lübbe
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weniger tat, als seinen Benutzern tagein, tagaus vom Leben in einer neuen Ära mit weltgeschichtlicher Bedeutung zu künden, so begrenzt war seine Durchsetzungskraft. Zwar ging seine Einführung schnell vonstatten, im Alltag aber haperte es mit der Umsetzung in vielen Bereichen ganz erheblich – der neue Kalender wurde nicht verinnerlicht, die radikale Abkehr vom religiös geprägten Jahreslauf nicht gänzlich mitgetragen. Möglicherweise reichten dafür die insgesamt 13 Jahre seiner Lebensdauer schlichtweg nicht aus. Insbesondere die Dekadenordnung der Monate blieb den Menschenfremd, nicht zuletzt angesichts der unangenehmen Tatsache, dass die Arbeitswoche nunmehr neun statt sechs Tage hatte.
    Nach dem Untergang der Ersten Französischen Republik durch Napoleons Machtergreifung 1799 hatte es nach und nach auch mit dem revolutionären Kalender ein Ende: 1802 wurden statt der Dekaden wieder Wochen eingeführt, zum 1. Januar 1806 war der gregorianische Kalender wieder vollständig rehabilitiert, nachdem die Siebentagewoche schon Jahre vorher de facto wieder eingeführt worden war. Das hatte praktische Gründe, denn das revolutionäre Kalendersystem isolierte Frankreich vom Rest der Welt – und das zu einer Zeit, in der internationale Kommunikation und wirtschaftliche Zusammenarbeit bereits weit entwickelt waren. Aber mindestens ebenso sehr ging es Napoleon um Symbolik: Kaum denkbar, dass das Ende der Republik nicht auch das Ende ihres augenfälligsten Alltagsinstruments mit sich gebracht hätte, der noch dazu als Jahresbeginn den Gründungstag der eben abgeschafften Republik zelebrierte. Als Symbol der Revolution gehörte er in den Augen Napoleons aus dem öffentlichen Bewusstsein entfernt, und die einfachste Lösung war die Wiedereinführung des alten, des gregorianischen Kalenders. Trotzdem wird bis heute der Republikanische Kalender, wie sein eigentlicher Name lautete, als zumindest theoretisch großer Wurf gelobt. Die revolutionäre Kalenderidee erlebte sogar noch einmal eine kurze Renaissance während der Pariser Kommune 1871; und als in den 1960er-Jahren das Dreamteam der deutsch-französischen Aussöhnung, der deutsche Bundeskanzler Adenauer und Frankreichs Präsident de Gaulle, einen »Europakalender« auf den Weg bringen wollten, wurde der Revolutionskalender noch einmal ins Gespräch gebracht.
    Während heute die Schwächen des Kalenders überwiegend aus ökonomischer Perspektive gesehen werden, was in der Sowjetunion der 1920er-Jahre ja durchaus eine Rolle spielte, vollzogen die Französische und die Russische Revolution vor allem einengrundsätzlichen Bruch mit der Vergangenheit. Sie stürzten die Monarchie, führten ein neues politisches System ein und brachen die Machtstellung der alten Eliten sowie der Kirche. In diesen Umsturz den Kalender einzuschließen ist ebenso konsequent wie effektiv, jedenfalls von der Idee her. Der Symbolgehalt eines neuen Kalenders ist unübersehbar; gleichzeitig der erzieherische Wert enorm: Der Bruch mit einem überkommenen Herrschaftssystem, der Beginn einer neuen Ära sollte jedem Menschen bewusst gemacht werden, indem jeder Tag aufs Neue daran erinnerte. Gleichzeitig dokumentierte der neue Kalender in beiden Staaten programmatisch den Anspruch der Revolution, keine Eintagsfliege zu sein, sondern vor der Geschichte dauerhaft zu bestehen. Das allerdings misslang: In Frankreich konnte er zu keiner Zeit der Republik vollends durchgesetzt werden, in der langlebigeren Sowjetunion wurde er nach wenigen Jahren abgeschafft.
    Der Misserfolg der beiden ambitionierten Kalenderreformen in Frankreich und der Sowjetunion mag denn auch den italienischen Diktator Mussolini bewogen haben, bei aller Großspurigkeit keine radikale kalendarische Abkehr zu vollziehen. Er verfügte 1926 per Erlass lediglich, dass die Jahre künftig dell’era fascista – gerechnet ab dem Jahr 1922, in dem der »Marsch auf Rom« stattfand – zu zählen waren, was aber kaum konsequent befolgt wurde. Mit ähnlich begrenzter Durchsetzungskraft wie Italien verfügte das deutsche NS-Regime, in Anlehnung an Karl den Großen künftig »germanische« Monatsnamen zu verwenden, und etikettierte die christliche Chronologie in die Zählung »nach der Zeitwende« um. Auch Nordkorea zählt seit 2003 offiziell zu Ehren des »ewigen Präsidenten« Kim Il-sung anders: In dessen Geburtsjahr 1912 beginnt als Chuch’e 1 die neue Chronologie, benannt nach der herrschenden Ideologie Nordkoreas. Unter der neuen Verpackung kommt
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