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Der Maya-Kalender - die Wahrheit über das größte Rätsel einer Hochkultur

Titel: Der Maya-Kalender - die Wahrheit über das größte Rätsel einer Hochkultur
Autoren: Bastei Lübbe
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mittels rotierender Ruhetage wie in einem Schichtsystem zu ihrer wohlverdienten Erholung kommen. Nach vier Arbeitstagen folgte für die Werktätigen ein planmäßiger Ruhetag, aber eben nicht für alle am selben Tag. Das ganze Land ein Schichtbetrieb, die Bevölkerung aufgeteilt in fünf Arbeits- bzw. Freizeitgruppen, jeweils mit einer eigenen Farbe gekennzeichnet – das musste ähnliche gesellschaftliche Probleme mit sich bringen, wie wir sie aus der Schichtarbeitswelt kennen: Die Freizeitplanung wird beeinträchtigt, weil die Koordination mit Familie oder Freunden ebenso massiv erschwert wird wie die Religionsausübung – für das ideologische Primat des sozialistischen Kollektivs gegenüber der Familie und den Kampf gegen Religion und Kirche durchaus erwünschte Effekte. Das eigentliche Plansoll kräftiger Produktivitätssteigerung durch den Kalender erwies sich jedoch als Wunschdenken, sodass die Sowjetunion schon 1931 die rotierende Woche wieder abschaffte und 1940 schließlich ganz zum alten Kalender zurückkehrte, ohne davon größeres Aufhebens zu machen.
    Noch radikaler brach keine 150 Jahre zuvor, wenige Jahre nachder Revolution von 1789, Frankreich mit dem althergebrachten Kalender. Die Französische Revolution gilt bis heute als epochemachend, was schon Zeitgenossen so sahen und was sich im Alltag der Menschen in Form einer neuen Zeitrechnung auch abbilden sollte. Entsprechend ging es bei dieser Reform nicht nur um eine Verbesserung des bestehenden Kalenders, sondern um einen grundsätzlichen gesellschaftlichen Gegenentwurf, denn die revolutionäre Ära Frankreichs verstand sich in radikaler Abkehr von Ancien Régime und Kirche als Hinwendung zu Fortschritt und Vernunft, manifestiert in der Ersten Französischen Republik. Gleich dreifach vollzog sich diese Abkehr von der herkömmlichen Zeitrechnung: Eine ganz neue Chronologie machte Schluss mit der Jahreszählung ab Christi Geburt und degradierte die Vergangenheit zur Vorgeschichte der Revolution. Das neue Jahr I (in römischen Ziffern) entsprach dem Jahr 1792/93 alter Zeitrechnung, Jahresbeginn war nunmehr der 22. September bzw. der 1. Vendémiaire, Gründungsdatum der Republik. Der altgediente 1. Januar lag folglich mitten im Wintermonat Nivôse.
    Aber auch der Kalender selbst erfuhr revolutionäre Behandlung, denn die Monatseinteilung wurde vereinheitlicht: Jeder Monat hatte künftig 30 Tage, und wie bei den alten Ägyptern (und den alten Maya) vorher wurden die überzähligen fünf, in Schaltjahren sechs republikanischen Festtage am Jahresende als sogenannte Sansculottides angehängt. Doch damit nicht genug: Im Zuge der Bestrebungen, wo immer möglich das Dezimalsystem durchzusetzen – der Französischen Revolution verdanken wir ja zudem die metrischen Einheiten –, fielen auch die Wochen dem Umsturz zum Opfer. Stattdessen erhielt jeder Monat, abermals in Anlehnung an Ägypten, drei Dekaden von jeweils zehn Tagen Länge, die ihrerseits ebenso neue Namen bekamen wie die Monate. Auch die Dekade berief sich auf Vernunft, Natur und Praktikabilität: wegen der zehn Finger der menschlichen Hand. Jedereinzelne Tag wurde nach Pflanzen, Tieren oder Ackergeräten benannt, die Monate nach saisonalen Naturerscheinungen oder landwirtschaftlichen Terminen. Innerhalb einer Dekade wurden die Tage nur nummeriert: Primidi , Duodi etc. Der religiösen Ausrichtung des alten Kalenders wollte man die Natur als Grundlage entgegensetzen, wozu vorzüglich passte, dass der Jahresbeginn nicht nur Republiktag war, sondern auch den Herbstanfang markierte. Den Einklang des neuen Kalenders mit der Natur sollte ein Gartenbauprojekt für den Pariser Jardin du Luxembourg dem Volk nahebringen; andere Maßnahmen zur Volkserziehung in Sachen Kalender folgten.
    Einen dem gewohnten Sonntag gleichkommenden Ruhetag, den Décadi , gab es künftig nicht mehr alle sieben, sondern nur noch alle zehn Tage. Die biblisch begründete Woche als Symbol des Christentums abzuschaffen war den stramm antiklerikal ausgerichteten französischen Revolutionären ein besonderes Anliegen. Als dritten Einschnitt wollte die Republik Schluss machen mit der alten Stundeneinteilung – auch hier nach dem Dezimalverfahren zu rechnen und jeden Tag künftig in zehn Stunden zu jeweils 100 Minuten zu unterteilen, scheiterte jedoch.
    So radikal der neue Kalender mit der alten Zeitrechnung brach, sosehr er zum Symbol und Erziehungsinstrument eines ganz neuen politischen und gesellschaftlichen Systems wurde und nichts
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