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Wo fehlt's Doktor?

Wo fehlt's Doktor?

Titel: Wo fehlt's Doktor?
Autoren: Richard Gordon
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    Es war gerade acht Uhr, als der Dean des St.-Swithin-Spitals an einem dunstig-sonnigen Londoner Junimorgen sich in seinem Arbeitszimmer an den Schreibtisch setzte, den Kugelschreiber zückte und mit feierlicher Miene zu schreiben begann.
    Das gestern erfolgte tragische Ableben von Sir Lancelot Spratt, Mitglied des Königlichen Chirurgenkollegiums und Chefchirurg des St.-Swithin-Spitals, hinterläßt eine nur allzu fühlbare Lücke.
    Der Dean runzelte die Stirn. Nein, das klang gar nicht gut. Schließlich wurde man ja nicht alle Tage aufgefordert, in der führenden Zeitung des Landes zu schreiben. Gedankenverloren starrte er eine Weile durch das offene Fenster im ersten Stock seiner neuen Wohnung auf den kleinen Hintergarten, der mit Rittersporn, gelben Lupinen und scharlachroten Salvien übersät und von einer Mauer umgeben war, hinüber zu den in allen erdenklichen Stilarten erbauten Gebäuden von St. Swithin. Dann strich er kurz entschlossen das Geschriebene durch und begann von neuem:
    Mit Sir Lancelot Spratt, FRCS, dem gestern so jäh dahingegangenen Chefchirurgen des St.-Swithin-Spitals, tritt eine höchst bemerkenswerte Figur nicht nur aus dem Operationssaal, sondern aus dem Leben schlechthin.
    Viel besser, stellte der Dean fest, geradezu literarisch. Mit mehr Selbstvertrauen schrieb er weiter:
    Sein selbstherrliches Gehaben machte ihn weithin populär, obwohl es, offen gesagt, seinen engeren Kollegen am St. Swithin mitunter gehörig auf die Nerven ging. Seine seltsamen Sitten, wie etwa die Angewohnheit, Krankenschwestern und Studenten chirurgische Instrumente - einmal sogarein amputiertes Bein! -an den Kopf zu werfen, blieben leider nicht auf den Operationssaal beschränkt. Er neigte stets zu einer recht derben Ausdrucksweise und war völlig unberechenbar. Man könnte ihn geradezu einen empörenden Dickschädel nennen. Ganz zu schweigen von seinem immer penetranter werdenden Geltungsdrang und seiner peinlichen Überheblichkeit. Ja... er hatte Sinn für Humor. Aber es war ein Schuljungenhumor oder, besser gesagt, der Humor von Quartanern...
    »Verdammt!« Der Dean zerriß das Blatt Papier. »De mortuis nil nisi bene und dergleichen Blödsinn mehr. Obwohl ich wirklich nicht einsehe, warum, wenn einer ex geht, aus seinen Freunden eine Horde Heuchler werden muß...«
    Die Tür ging auf. Seine Frau erschien mit einem Tablett und unterbrach das Selbstgespräch.
    »Da bist du ja, Lionel! Ich habe mir schon den Kopf zerbrochen, wo du steckst. Da ist deine zweite Tasse Kaffee. Du bist ja wie der Blitz vom Frühstückstisch verschwunden...«
    »Ich dachte, ich würde mich am besten gleich an den Nachruf auf Sir Lancelot machen.«
    »Oh!« Nun setzte auch sie eine entsprechend ehrfürchtige Miene auf. »Das muß eine überaus traurige Aufgabe für dich sein.«
    »Traurig? Einfach undurchführbar! Wie kann jemand eine nur halbwegs genaue Darstellung Lancelots liefern, ohne scheinbar sein Ansehen zu beschmutzen? Man könnte genausogut versuchen, die Geschichte von Jack the Ripper zu schreiben und dabei diskret das Thema >Mord< zu umgehen...«
    »Könntest du dich nicht einfach auf seine angenehmeren Eigenschaften konzentrieren?«
    »Mir fallen auf Anhieb leider keine ein.«
    »Laß mich nachdenken... >Er war ein blendender Tischredner...< Wie wäre es damit?«
    »Unsinn! Er hatte einen einzigen Witz auf Lager - und den mußte ich mir an die fünfhundertmal anhören...«
    »Er war ein liebenswürdiger und großzügiger Gastgeber...?«
    Der Dean brummte in seinen Kaffee hinein. Er war ein kleiner, gnomenhafter Mann mit spitzem, kahlem Schädel. Im Augenblick saß er wippend auf seinem Sessel, wie es seine Gewohnheit war, wenn er nach einem der kleinen Stürme, die so regelmäßig durch sein Leben fegten, in Erregung geriet.
    »Hat er denn nicht erst vorigen Monat beim Maiball der Studentenvereinigung diese wundervolle Party gegeben, bei der wir uns alle so gut unterhalten haben...?«
    »Ich habe mich nicht unterhalten. Zufällig ist mir der Ball der Studentenvereinigung besonders zuwider. Die Kerle werden alle viel zu vertraulich und erwarten, daß ich ihre Drinks bezahle. Wenn nicht unsere Muriel Präsidentin der Studentenvereinigung gewesen wäre, hätte ich den Ball heuer überhaupt ignoriert.«
    »Es ist wirklich schrecklich schwer, sich Lancelot als den >teuren Verewigtem vorzustellen. Solang wir verheiratet sind, hab’ ich ihn immer als etwas Unzerstörbares angesehen - wie etwa den Himalaja.« Dem Dean entrang
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