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Wo fehlt's Doktor?

Wo fehlt's Doktor?

Titel: Wo fehlt's Doktor?
Autoren: Richard Gordon
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um den Artikel in seiner Tasche hatten seinen Trübsinn augenblicklich dahinschmelzen lassen. »So ein Morgen, Lancelot... Bist du da nicht froh, am Leben zu sein?«
    »Ich habe keine Ahnung, wie ich mich andernfalls fühlen würde.«
    »Ich meine: erfüllt dich so ein Wetter nicht mit Lebenslust, mit dem Gedanken, daß das Leben wert ist, gelebt zu werden... Schließlich leben wir nur so kurze Zeit...«
    Sir Lancelot hatte die Tür geschlossen.
    Gedankenvoll die Stirn in Falten legend, machte sich der Dean rasch auf den Weg. Der Kerl, konstatierte er, ist griesgrämiger als je zuvor. Er kannte Sir Lancelot, seit er selbst ein kleiner Anstaltsarzt gewesen war und Sir Lancelot Chirurgischer Assistent am St. Swithin. Schon vor langer Zeit hatte der Dean die seltsamen Eigenschaften des Chirurgen erkannt oder, wie er gern behauptete, bitter zu spüren bekommen. Aber in den letzten vier Wochen, etwa seit dem Maiball der Studentenvereinigung, war es mit seinem Nachbarn eindeutig bergab gegangen. Er war, kam es dem Dean vor, in sich gekehrter denn je; irgend etwas bedrückte ihn. Beim kleinsten plötzlichen Geräusch zuckte er zusammen. Nichts war von seiner alten unerschütterlichen Kraftnatur geblieben.
    Dem Dean fiel ein, daß Sir Lancelot, wenn man mit ihm sprach, den Blick bisweilen umherschweifen ließ, als suchte er jemanden, der nicht da war. Sehr beängstigend. Einmal hatte er ihn zufällig in seinem Garten laute Selbstgespräche führen hören. Vorzeitige Vergreisung, nahm der Dean bekümmert an. Gehirnerweichung. Nach all den Jahren des Sichgehenlassens mußten Sir Lancelots Arterien heute so verkalkt sein, daß er nur durch ein Wunder nicht in allen Fugen krachte, wenn er sich bewegte.
    Mit federnden Schritten gelangte der Dean durch das Tor des Spitals in den Haupthof. Gewiß: der Anlaß war traurig, aber es war nicht unklug von ihm gewesen, diesen Nachruf noch heute früh, gleich nachdem er den Brief des Redakteurs erhalten hatte, zu verfassen.
    Auch Sir Lancelot hatte im ersten Stock seiner Wohnung
    ein Arbeitszimmer mit Ausblick auf einen von einer Mauer umgebenen Hintergarten. In diesem gab es einen winzigen, kurzgeschorenen Rasen, gepflegte rosa und weiße Rosenstöcke und verschiedenfarbige Levkojen, ordentlich in Reih und Glied, wie Konfekt in einer Bonbonniere. Sir Lancelot stand mitten im Zimmer. Er war noch immer im Morgenrock und studierte gerade den ersten seiner Briefe durch halbmondförmige Brillengläser. Nachdenklich strich er sich ein paarmal den Bart und zog die buschigen rötlichen Augenbrauen hoch. Er kam zu einem Entschluß. Mit einem Seufzer setzte er sich an seinen Schreibtisch, der von jenem des Dean nur durch ein paar Zentimeter Mauerwerk getrennt war.
    »Man muß eben seine Pflicht tun, mag sie manchmal noch so traurig oder vielleicht sogar schmerzlich sein...« Sir Lancelot schraubte die Kappe von seiner Füllfeder und griff nach einem Block linierten Hartpapiers. »Kann es wohl genausogut gleich hinter mich bringen . . « Mit breit dahinfließenden Lettern begann Sir Lancelot zu schreiben.
    Das gestern gemeldete tragische Ableben von Sir Lionel Lychfield, Mitglied des Königlichen Internistenkollegiums und Dean des St.-Swithin-Spitals, erweist sich weit mehr für den kleinen Kreis der Freunde des Verblichenen als für die große Welt als ein Ereignis von Bedeutung...
    Sir Lancelot brummte. Nein. So ging das nicht. Er strich die Worte durch und versuchte es noch einmal.
    Das gestern gemeldete tragische Ableben des Dean von St. Swithin, Sir Lionel Lychfield, FRCP, wird den vielen, die ihn nur auf Grund seines Namens bewunderten, mehr Kummer bereiten als den wenigen, die das Vorrecht hatten, ihn persönlich zu kennen. Seine Feder stürmte munter kratzend die Zeilen entlang. Er hatte schon immer geahnt, daß er Talent für diese Art von Prosa besaß.
     

2
     
    Die Abgrenzung zwischen dem Haupthof des St.-Swithin-Spitals und einer belebten Nord-Londoner Geschäftsstraße von stereotyper Häßlichkeit bildete ein hohes, spitzenbewehrtes Eisengeländer, an dem die Studenten mitunter Spruchbänder mit der Ankündigung der »rag week« oder ihres Protests gegen die politische Lage aufhängten und gelegentlich auch - am Hosenbund - mißliebige Kommilitonen. Innerhalb der Umfriedung gab es ein halbes Dutzend ehrwürdiger Platanen und zwei zum Gedenken an viktorianische Leuchten des Spitals errichtete Statuen. Lord Larrymore, Internist wie der Dean, hätte sich rühmen können, den Erreger der
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