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Der Mann, der's wert ist

Der Mann, der's wert ist

Titel: Der Mann, der's wert ist
Autoren: Eva Heller
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Benedikts Mutter erschrocken war,
hier unter die Gourmets gefallen zu sein, hatte sie sich gut aus der Affäre
gezogen.
    Wir tranken sowieso, was Herr
Engelhardt aus der Küche brachte und selbst besorgt hatte: einen halbtrockenen
Riesling mit nur 0,4 Prozent Restsüße, von einem Winzer, der seinen Wein nur
aus Naturstoffen herstellt.
    »Das ist ein Wein, der zu Ihnen
paßt, Viola«, rief Herr Engelhardt, »jung, aber ausgegoren, spritzig und mit
einem eleganten Unterton. Ein Wein mit einer exquisiten Zukunft!« Herr
Engelhardt ist Spezialist für absurde Komplimente. Aber wirklich vollkommen
charmant. Er prostete mir zu: »Wie entzückend Sie aussehen, Viola! Wie die
junge Audrey Hepburn!«
    Ich wäre nie auf die Idee
gekommen, ich könnte der jungen Audrey Hepburn ähnlich sehen, obwohl ich auch
so dunkle Augen und dunkelbraune Haare habe. Aber trug Audrey Hepburn je die
Haare kinnlang mit Seitenscheitel? Trotzdem kicherte ich geschmeichelt. Ja, ich
sah ehrlich gut aus in meinem schwarzen, mit goldenen Sternen bedruckten Kleid.
Es ist das passende Kleid für eine Sternstunde. Obwohl es nur 129 Mark gekostet
hat und von C&A ist. Aber das sieht man ihm wirklich nicht an.
    »Und Mademoiselle Elisabeth
sieht aus wie die junge Catherine Deneuve«, Herr Engelhardt prostete Elisabeth
zu. Da ist was Wahres dran. Sie ist der Typ. Elisabeth kicherte ebenfalls.
    Nur meine Schwester Annabell
warf Elisabeth einen mitleidigen Blick zu und sagte laut zu Niko: »Kunststück,
wenn man sich künstlich blondiert.«
    »Lieber eine falsche Blondine
als ein echter Glatzkopf«, rief Niko und lachte dröhnend. Niko ist von der
lustigen Sorte: ständig macht er dumme Witze und lacht selbst am meisten
drüber. Und Niko nimmt es nicht krumm, daß er Annabells Tischherr sein muß.
    Niko ist Benedikts bester Freund,
obwohl er ganz anders ist als Benedikt, Niko handelt mit Gebrauchtwagen.
Benedikt jobbt schon seit Jahren nebenher für Niko: Benedikt sucht in
Zeitungsinseraten und auf Automärkten günstige Angebote für Niko, und
mindestens zweimal im Monat findet er einen, den Niko in seinem
Gebrauchtwagenhandel teurer verkaufen kann. Niko hat oft Kunden, die einen
speziellen Wagen mit spezieller Ausstattung suchen, und wenn Benedikt den
irgendwo auftreibt, gibt ihm Niko eine gute Provision. Auch mein Vater hat seinen
dunkelblauen Volvo sehr günstig über Benedikt-Niko bekommen.
    Meine Mutter aber war sicher
nicht zufrieden damit, daß Niko Annabells Tischherr war, sie hatte mich
beschworen, einen passenden Mann für meine Schwester einzuladen — sie fand Niko
garantiert nicht gut genug. Aber so viele freie Männer um Dreißig gibt es gar
nicht. Außerdem sieht Annabell aus wie Königin Margarethe von Dänemark — zwar
jünger, aber nicht so schlank.
     
    * * *
     
    Trotz ihrer Großartigkeit ist
Annabell schon als Kind ewig neidisch auf mich gewesen. Mir würden die Eltern
viel mehr erlauben als ihr im gleichen Alter, war ihr ewiges Lamento. Daß sie
sich schon immer alles gerafft hat, stand nie zur Diskussion. Schließlich ist
sie drei Jahre älter, und mit dem Alter steigen die Ansprüche, heißt es. Und
nun als Mutter von Solveig ist sie sowieso über jede Kritik erhaben.
    Außerdem lebt meine Mutter in
Illusionen, was Annabell betrifft. Meine Mutter träumte früher, daß Annabell
ein Bühnenstar würde. Jawohl. Bühnenstar. Schauspielerin wäre ihr recht
gewesen, Opernprimadonna lieber. Die Illusionen begannen, als Annabell vierzehn
war, da durfte sie die Hauptrolle in dem Weihnachts-Musical spielen, das unsere
Schule in der Aula aufführte. Annabell war die gute Fee — sie bekam die Rolle,
weil keine so ausdrucksvoll wie sie das Lied der guten Fee sang. Dafür hatte
sie endlos vor dem Spiegel geübt, ihre Arme in Verzweiflung zu verdrehen — aus
irgendeinem Grund war die gute Fee verzweifelt —, Annabell drehte ihre Arme
umeinander, spreizte die Finger und sang: »ACH! OOH! Was bin ich verzweifelt
so! Ich muß, muß, muß dem armen, armen Kinde helfen!« Ganz operettenmäßig sang
sie: »dem Ki-hi-hi-hi-nde hä-hä-hä-häl-fen!« Dabei verdrehte sie auch die
Augen. Und ich hatte als einzige der jüngeren Schülerinnen eine Rolle in diesem
Singsangspiel zugedacht bekommen — allein Annabells Fürbitte hatte ich die zu
verdanken, betonte sie tausendmal. In dem Stück mußte ich Annabell jedesmal,
wenn sie ihr Feenreich verließ, um einem armen, armen Kinde zu hähähälfen, den
Feenhut herbeischleppen und den Feenzauberstab. Ich
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