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Der Mann, der's wert ist

Der Mann, der's wert ist

Titel: Der Mann, der's wert ist
Autoren: Eva Heller
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wärst du?«
    Und das nach der Vorspeise!
Nach Pastete auf Champagnergelee-Würfelchen!
    Mein Vater ist überzeugt, daß
nichts die Gäste besser unterhält als seine absurden Fragen. Er ist
Versicherungs-Jurist und wäre ein alles zerstörendes Feuer in einer Fabrik, die
Feuerlöscher herstellt — ein alter Familienscherz. Mein Vater hält das
Unwahrscheinlichste für möglich — er glaubt nur an Versicherungen. Meine Mutter
wäre ein Erdbeben: Sie kann lange schweigen, aber ab und zu rumst es. Mein
Vater liebt Erdbeben, die gelten als Höhere Gewalt, da muß die Versicherung
nicht zahlen.
    Ich kenne viele Leute, die
wären eine Explosion oder ein Vulkanausbruch. Eine jener Katastrophen, bei
denen mit einem Schlag alles kaputt ist.
    Ich bin anders. Ich wäre eine
Sintflut. Erst regnet es, wie es eben so regnet. Dann dauert der Regen
tagelang, nächtelang, wochenlang. Aber keiner glaubt, daß es eine Katastrophe
ist. Es regnet und regnet, aber täglich gibt es Anzeichen, daß es morgen
aufhört. Und jeder weiß Trostworte: Wenigstens gibt es keine Waldbrände, und
ein bißchen Regen hat noch niemand geschadet, und auf Regen folgt Sonne. Aber
auf Regen folgt Regen, bis alles zu spät ist. Ich wäre eine Katastrophe, die
schon lange begonnen hat, ehe man ihren Namen kennt.
    Ich bin eben so allmählich. Ich
muß immer klein anfangen. Der schlagartige Erfolg liegt mir nicht, das
schlagartige Desaster auch nicht.
    Aber wenn das Glück vollkommen
ist, soll man nicht fragen, was das Glück stören könnte. An diesem Abend, als
Benedikt und ich, meine Familie, Benedikts Mutter und unsere Freunde im Haus
meiner Eltern feierten, war alles glanzvoll: mein Examen als Innenarchitektin —
ich hatte zusammen mit meiner Freundin Elisabeth den besten Abschluß gemacht —,
Benedikts neuer Architekten-Job, und vor allem unsere gemeinsame Zukunft. Da
hatte ich keine Lust, die Nachteile und Vorteile meines Charakters zu
präsentieren, und spontan sagte ich: »Ich wäre ein nicht abgegebener
Lottoschein mit sechs Richtigen.« Benedikt lachte am lautesten: »Viola, du spielst
doch nie Lotto!«
    Meine Freundin Elisabeth sagte:
»Originell, wie kommst du denn auf die Idee?«
    Ich wußte es nicht. Vielleicht
habe ich Angst, durch eine einzige Unachtsamkeit die einmalige Chance meines
Lebens zu verlieren? Irgendwann den entscheidenden Moment zu verpassen? »Mach
dir keine Sorgen, Viola«, sagte Benedikt, »falls ich Lotto spiele, gebe ich
meinen Schein selbst ab.« Und dann sagte er: »Wozu willst du sechs Richtige? Du
hast doch mich, den einzig Richtigen!«
    So ist Benedikt. So lieb.
     
    * * *
     
    Ja, einmal im Leben hatte sogar
ich schlagartigen Erfolg. Benedikt und ich — es war Liebe auf den ersten Blick.
Auch bei ihm, hat er geschworen. Seine frühere Freundin, von der er längst
getrennt war, als wir uns kennenlernten, war wie ich: dunkelhaarig,
dunkeläugig, schlank, und hatte auch keinen großen Busen.
    Wir haben uns kennengelernt vor
einem Jahr und einem Monat im Fahrstuhl der Münchener Hochschule für Gestaltung
und Architektur. Aneinandergequetscht standen wir in der Ecke, vor uns eine Seminargruppe
von mindestens fünfzehn Leuten, die in die zehnte Etage wollten. Ich wollte in
die achte Etage. Zuerst hielt der Fahrstuhl in der vierten, wo niemand
ausstieg, dann fuhr er wieder runter. Dann fuhr er wieder rauf in die vierte,
dann wieder ins Erdgeschoß. Dann fuhr er bis zur siebten Etage. Eine Frau
sagte, das käme daher, weil sie die Luft angehalten hätte, um leichter zu sein.
Aber dann fuhr er wieder runter ins Erdgeschoß. »Jetzt hat sie wieder
eingeatmet«, sagte jemand, und alle lachten fast hysterisch. Es war heiß, und
ich stand die ganze Zeit an Benedikt gequetscht. Als dann der Fahrstuhl wieder
in der vierten hielt, beschloß die Seminargruppe zu kapitulieren und ging die
Treppe hoch. Ich blieb im Fahrstuhl, ich kann warten. Und außer mir blieb nur
Benedikt. Nun standen wir natürlich so weit wie möglich auseinander. Und da
fuhr der Fahrstuhl ohne anzuhalten in die achte Etage. »Wir beide haben den Weg
nach oben geschafft«, das war der erste Satz, den Benedikt zu mir sagte.
    Benedikt mit seinem blonden
Strähnenwuschelkopf und seinem jungenhaften Lächeln sah so traummannmäßig aus,
daß ich nie gewagt hätte, ihn anzusprechen. Was sollte ich nun sagen? Bloß
nichts Blödes! Ich lächelte nur, ohne Hoffnung, daß er meine Verlegenheit nicht
merkte. Dann fragte mich Benedikt, ob ich weiß, wo das Zimmer von
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