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Der Mann, der's wert ist

Der Mann, der's wert ist

Titel: Der Mann, der's wert ist
Autoren: Eva Heller
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vierundfünfzig
Jahre hat meine Mutter einen Heidenrespekt vor Lehrerinnen. Meine Mutter war in
Hochform. Sie trug ihr schlichtestes Kleid, dunkelblau hochgeschlossen, darauf
kommt ihr Goldkollier am besten zur Geltung. Benedikts Mutter trug zum
grünschwarzen Lurexschlauch-Oberteil weite, schwarze, satinartige Hosen und
eine dicke Bernsteinkette. Die überschwengliche Art, wie meine Mutter bei der
Begrüßung diese Bernsteinkette gelobt hatte: »Ein sehr apartes Stück!« und:
»Haben Sie die Steine selbst aufgefädelt?«, ließ keinen Zweifel, daß die Kette
meiner Mutter viel, viel teurer ist.
    Mein Vater war auch in
Hochform. Galant fragte er: »Verraten Sie uns, was Sie für eine Katastrophe
wären, Frau Windrich?« Lachend sagte sie: »Da müssen Sie Benedikt fragen, ob
ich eine Katastrophe bin. Benedikt, der wäre ein Hurrikan, aber im guten Sinn!
Er war schon als Kind ein Wirbelwind!« Die Träger ihres Lurexschlauchs, der mit
einem Gummizug über dem Busen festgezurrt war, rutschten jedesmal, wenn sie
beim Reden mit den Armen wackelte.
    Ja, daß Benedikt ein Hurrikan
im guten Sinne ist, davon bin ich überzeugt. Er ist das sonnige Auge eines
Hurrikans, alles um ihn herum steht köpf, aber Benedikt läßt sich nicht die
Laune verderben, er hat die Gabe, Probleme mit einem Achselzucken und einem
Lachen aus der Welt zu schaffen.
    »Jeder hat seine eigene Art,
sich und andere in Katastrophen zu stürzen«, erklärte mein Vater. Er machte
eine globale Handbewegung, die besagen sollte, daß er sich ein Universum von
Katastrophen vorstellen könne, und ein Gesicht, das besagen sollte, daß er
gegen jede Katastrophe gefeit ist. »Wir sind zwar nicht mit den Faber-Castells
verwandt, aber wir leben in versicherten Verhältnissen«, das ist sein
Lebensmotto.
    Meine Mutter behauptete wie
üblich, sie sei zwar ein Erdbeben, aber Erdbeben seien äußerst selten, und im
Grunde sei sie ein äußerst gutmütiger Mensch. Mein Vater sagt, meine Mutter
passe sich jeder Meinung an, die lauter vorgetragen würde als ihre eigene
Meinung, und das sei eigentlich jede Meinung. Das darf er aber vor fremden
Leuten nicht mehr sagen. Jetzt sagte er: »Anneliese als Erdbeben — da wackelt
höchstens der Kronleuchter.«
    Trotzdem warf ihm meine Mutter
einen warnenden Blick zu und rief, um vom Thema abzulenken: »Ich bin so
gespannt, Viola, was du zu unserer Überraschung sagen wirst! Die bekommst du
aber später, erst nach dem Dessert!« Dann eilte sie zu Frau Engelhardt in die
Küche. — Meine Mutter kann nicht gut kochen, ein Glück für uns alle, daß Doris
Engelhardt angeboten hatte, bei diesem Anlaß ihre Kochkunst zu zelebrieren.
    Herr Engelhardt ging auch in
die Küche. »Bleib sitzen, Viktor, ich kümmere mich um den Wein«, sagte er zu
meinem Vater. Benedikt sprang auf, kämmte sich mit den Fingern die Strähnen aus
der Stirn, winkelte den linken Arm an, verbeugte sich und bat, seine Dienste
als Unterkellner zur Verfügung stellen zu dürfen. Er wurde aber nicht
gebraucht. Und ich sollte auch nichts tun, nur mich feiern lassen.
    Elisabeth hatte sich
entschieden: Sie wäre eine Klimakatastrophe. Eine Eiszeit. Das paßte! Elisabeth
ist immer cool. Vor einigen Monaten hat sie sich von ihrem Freund, einem
Therapeuten, getrennt. Er hätte angefangen, von ihr Perversionen zu verlangen:
daß sie in seine Wohnung komme und dort vor dem Beischlaf seine Bettwäsche
bügle oder mit einem Putzlappen über den Küchenfußboden krieche. Elisabeth
sagt, sie sei keine Masochistin. Lieber lebe sie im Zölibat. Elisabeth braucht
keinen Mann als Beweis ihrer Attraktivität.
    Elisabeth hatte vorgeschlagen,
Peter einzuladen. Peter ist schweigsam, aber der netteste aus unserem Semester.
Peter sagte: »Ich bin keine imposante Naturkatastrophe, nur eine
Alltagskatastrophe.« Alle lachten.
    Mein Vater war weiterhin damit
beschäftigt, Benedikts Mutter zu beeindrucken. Er erklärte ihr, daß Herr
Engelhardt sein Freund und Kollege sei und daß Herr und Frau Engelhardt die
feinsten Weinkenner und Feinschmecker seien, die er jemals kennengelernt habe.
Er tat, als verkehre er nur mit Feinschmeckern und Weinkennern. »Welche
Rebsorte bevorzugen Sie, Frau Windrich?« fragte er, als erwarte er ein
sensationelles Geständnis.
    »Wissen Sie, Herr Faber, meine
Tochter ist Dolmetscherin für Französisch, die kennt sich da ganz ausgezeichnet
aus. Wenn wir mittags zusammen beim Griechen essen, kann ich mich bei der
Weinauswahl blind auf sie verlassen.« Falls
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