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Der Mann, der's wert ist

Der Mann, der's wert ist

Titel: Der Mann, der's wert ist
Autoren: Eva Heller
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Messinglampen. Der Clou
waren die rechteckigen Säulen mit korinthischen Kapitellen. In den Säulen waren
Aktenschränke, damit hatten wir den in der Aufgabe vorgeschriebenen Schrankraum
stilecht realisiert.
    Das Hauptproblem beim Modellbau
war gewesen, eine Tapete zu finden, so kleingemustert, daß sie zum Maßstab des
Modells paßt. Es gab keine. Schließlich malten Elisabeth und ich die Tapeten
selbst mit Aquarellfarben in tagelanger Arbeit. Winzige Ranken in bläulichem
Englischgrün auf Moosgrün. Dann malten wir sogar die Schatten der Säulen auf
den Teppichboden, um den Lichteinfall zu simulieren. Getreu dem Motto unseres
Professors Singer, der immer sagte: »Wenn das Detail nicht stimmt, stimmt
überhaupt nichts.« — Er hat vollkommen recht: Zuerst wirkte unser Modell
perfekt, aber leblos, erst als wir die Schatten gemalt hatten, war Leben im
Modell. Jeder, der es sah, war entzückt. Mit Ausnahme von Solveig und Annabell.
    »Sieh mal, das haben Frauen
gemacht«, sagte Annabell zu Solveig, als Elisabeth das Modell auf die Kommode
stellte. »Willst du die Viola und die Elisabeth fragen, ob sie dir so eine
Puppenstube basteln?«
    Zum Glück wollte Solveig das
nicht, sie war beleidigt, weil sie das Modell nicht anfassen durfte.
    »Ich weiß, warum der Solveig
euer Modell nicht gefällt«, sagte Annabell traurig, als müßte sie uns eine
schreckliche Wahrheit offenbaren, »es ist nicht kindgemäß.«
    Ich sah desinteressiert an ihr
vorbei. Annabell behauptet ständig, daß irgendwas nicht kindgemäß wäre. Das ist
ihre vernichtendste Kritik. Okay, ist unsere Bankfiliale eben nicht kindgemäß.
    »Heilige Mutterkuh«, sagte
Elisabeth, als Annabell außer Hörweite war.
    »Ich bin heilfroh, daß ich sie
bald nur noch an höchsten Feiertagen ertragen muß.«
     
    *
* *
     
    »Wenn ich eine Katastrophe
wäre, dann eine Hungersnot«, rief Herr Engelhardt, als seine Frau mit unserer
Suppenterrine, die seit Menschengedenken nicht mehr benutzt worden war, aus der
Küche kam.
    »Wir servieren jetzt eine kalte
Melonensuppe mit Hummer«, sagte Frau Engelhardt. »Guten Appetit.«
    »Oh nein, ich wäre lieber eine
altägyptische Heuschreckenplage«, sagte Herr Engelhardt entzückt beim Anblick
der rosaroten Suppe. »Kalte Melonensuppe mit Hummer! Die schönste Suppe der
Jahreszeit!«
    »Wo ist der Hummer?« fragte
mein Vater.
    »Der Hummer wird
selbstverständlich püriert«, seufzte meine Mutter, als würde sie täglich Hummer
pürieren.
    Alle machten »hhhmmm, hhhmmm,
hhhmmm«, während sie die Suppe löffelten.
    »Benedikt war schon als Kind
ein Feinschmecker«, sagte Benedikts Mutter, »keinen Spinat hat er gegessen,
keine Zwiebeln, kein Sauerkraut, hat er alles verweigert. Meine Tochter war
viel umkomplizierter.«
    »Vielleicht liegt es daran, daß
Sie vergessen haben, vor dem Servieren den Spinatblock aufzutauen«, rief Niko
und lachte dröhnend. Man mußte einfach mitlachen.
    Nur meine Schwester sah unter
den Tisch und fragte: »Wo ist die Solveig?«
    »Sie ißt vor ihrem
Videorecorder«, erklärte meine Mutter eilfertig, »Doris hat ihr extra eine
Kindersuppe gemacht.«
    »Du kannst doch die Solveig
nicht allein vor dem Video sitzen lassen!« rief meine Schwester empört und
stand auf.
    »Sie wollte nur die Sendung mit
der Maus sehen«, sagte meine Mutter kleinlaut.
    »Verdammte Scheiße«, rief
Annabell, »du weißt genau, daß die Sendung mit der Maus pädagogisch Scheiße
ist, wenn sie sie allein sieht, das bringt ihr nichts.« Sie rannte in Solveigs
Zimmer. »Ich habe ihr eine Ketchup-Suppe gemacht«, sagte Frau Engelhardt,
»etwas Ketchup in warmem Wasser verrührt, dazu etwas Honig und süße Sahne.
Kinder essen so was. Hauptsache süß und rot.« Durch die offene Tür rief sie
Annabell hinterher: »Die Suppe ist kindgemäß!«
    Wir tranken auf die Köchinnen.
    »Und jetzt«, sagte mein Vater,
»trinken wir auf Frau Windrich, Violas Schwiegermutter in spe.« Er erhob sein
Glas.
    Frau Windrich drückte
temperamentvoll das Glas meines Vaters auf den Tisch zurück: »Nein,
Schwiegermutter will ich nicht genannt werden, das hat so einen altmodischen
Beigeschmack. Und meinetwegen müssen die beiden doch nicht heiraten! Wär ich
ein junger Mensch, heutzutage, würde ich genau wie Benedikt sagen: Ab mit den
alten Zöpfen! — Meinetwegen dürfen die beiden von Herzen gerne in meinem Haus
unverheiratet leben!«
    »Dann sind Sie eben die
uneheliche Schwiegermutter«, sagte mein Vater. »Meinetwegen, solange Viola
nicht
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