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Rappen lernen

Rappen lernen

Titel: Rappen lernen
Autoren: Mark Greif
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6 Rappen lernen
    Man muss dem Schicksal dankbar sein, wenn die Erfindung einer bedeutenden Kunstform in die eigene Lebensspanne fällt. Umso peinlicher ist es dann allerdings, wenn man sie nicht sofort versteht oder nicht angemessen würdigt, wenn man nicht von Anfang an von ihr begeistert oder gar ein richtiger Fan ist. Besonders beschämend wird die ganze Sache, wenn die Begeisterung für diese Kunst es einem ermöglicht hätte (und sei es nur in der eigenen Vorstellung), die Rassenschranken innerhalb der amerikanischen Gesellschaft zu überwinden – zumindest so weit, wie ein Weißer, der sich dieser Grenze von der falschen Seite nähert, gehen kann, ohne sich selbst etwas vorzumachen. Hip-Hop und ich, wir sind zur selben Zeit groß und dann gemeinsam erwachsen geworden. Doch wie viele andere politisierte weiße Mittelklasse-Amerikaner meiner Generation beging ich einen Fehler von historischem Ausmaß: 1 Ich entschied mich, an Postpunk zu glauben, 7 nicht an Rap. Und das bedeutete, dass ich einem unbedeutenden Ableger (Postpunk) eines (an sich schon) unbedeutenden Genres (Punk) die Treue schwor, der das Letzte aus einem einst bedeutenden Musikstil herausholte, der im Prinzip schon 1972 erledigt war (Rock). Ich wurde also Postpunk-Fan, anstatt mich einer neuen Musikrichtung von wahrhaft weltgeschichtlichem Rang anzuschließen.
    Ganz praktisch hatte dieser Fehler zur Folge, dass ich nicht lernte, richtig zu rappen, als mein Gehirn noch geschmeidig war, in einem Alter, in dem man neue Sprachen ohne großen Aufwand absorbiert. Nicht, dass ich vollkommen unfähig wäre, wenn es ums Rappen geht, und natürlich habe ich hin und wieder ein paar Rhymes vor mich hin gebrummelt, aber ich habe mir eben nie wirklich Mühe gegeben.
    Letztes Jahr, also etwa zwanzig Jahre später, entschloss 8 ich mich, dieses Versäumnis endlich wiedergutzumachen. Die Irritation, die mich letztendlich dazu motivierte, bestand darin, dass ich zwar bei Rocksongs mitsummen kann (und natürlich kann ich auch bei einigen wirklich mit singen , weil ich doch über ein recht großes Repertoire an Texten klassischer Lieder wie »Sunshine of Your Love«, »How Much Is that Doggie in the Window« usw. verfüge), dass ich aber nie wirklich mitrappen kann, mal abgesehen von einigen wenigen einfachen Refrains. Ich komme nicht einmal bei den Stücken mit, von denen ich dachte, dass ich sie sehr gut kenne und die mir im ersten Jahr der Amtszeit Obamas immer häufiger in den Sinn kamen. Irgendwie fand ich dieses Defizit unheimlich, um nicht zu sagen rassistisch.
    Man ahnt gar nicht, wie schwer Rappen ist, bevor man es einmal ernsthaft versucht. Ich legte mir einen überschaubaren Lehrplan zurecht und nahm mir vor, mit den echten Klassikern zu beginnen. Nicht mit zweitklassigen Fingerübungen, sondern mit den besten Songs überhaupt. Dieses Mal sollte mein Repertoire all die Lieder enthalten, die ich wirklich gerne mag. Sie sollten ab jetzt für immer ein Teil meines Lebens sein, egal wie spät ich damit anfing, sie genauer zu studieren. Also begann ich mit dem zweiten Track von Nas’ erstem Album, »N. Y. State of Mind«, einem Song, der über Jahre hinweg in meinem Hinterkopf herumgespukt hatte.
    »I think of crime / When I’m in a New York state of mind« – solch einfache Zeilen hatte ich schon drauf. Natürlich auch den berühmten Aphorismus »I never sleep / ’Cause sleep is the cousin of death«, der ohnehin andauernd irgendwo zitiert wird. Dazu Angebereien à la »It’s only right / That I was born to use mics«, ein Rhyme, 9 nach dem ein Buch von Michael Eric Dyson benannt ist. Dummerweise hatte ich mich der Illusion hingegeben, dass man einen ganzen Vers genauso leicht lernen könne wie einen einzelnen Aphorismus oder einen Refrain. Ich dachte also, es sei das Beste, einfach vorne anzufangen, immer wieder zurückzuspulen und so den ganzen Text auswendig zu lernen. So hatte ich es schließlich bei Rockklassikern und Folk-Balladen gemacht. Eines diesigen Tages ging ich also in den Park, setzte meine Kopfhörer auf und drückte Play …

    »Rappers I monkeyflip ’em with the funky rhythms I be kickin’ –«

    »Rappers I …« Wie bitte? »Rappers I monkeyflip ’em with the funky rhythms I be kickin’ –« »Rappers I hmhmmh …« Nein. »Rappers I go up in ’em …« Auch nicht. »Rappers I grow up with ’em …« Vergiss es.
    Nas sagt hier, sein rhythmischer Flow habe eine solche Wucht, dass es seinen Konkurrenten die Beine unter dem
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