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Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte

Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte

Titel: Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte
Autoren: Heinrich Steinfest
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erzählen, warum ich diesen Mann beobachtet hatte. Remmelegg hätte mich ausgehorcht, unangenehme Fragen gestellt. Ich wäre nicht umhingekommen, von meiner eigenen »Obsession des Zufügens« zu reden. Aber lieber wäre ich gestorben. Auch wollte ich nicht in irgendeine Kriminalgeschichte hineingezogen werden.
    Ich sagte Remmelegg, dass ich den Toten nicht kannte. Diesbezüglich brauchte ich nicht einmal zu lügen. Was ich dann aber doch tat, indem ich erklärte, ich hätte niemals vorgehabt, jemanden zu retten. »Ich wollte flüchten«, schwor ich ihm, »offensichtlich in die falsche Richtung. Mir ist das eigentlich peinlich. Ich setze mich ungern in Szene. Ich bin der Typ, der sich aus allem raushält. Dieser Mann, der jetzt tot ist, er stand hinter mir, ich konnte ihn gar nicht sehen. Nein, glauben Sie mir, ich hänge an meiner Haut. Ich bin blöd, aber ich bin nicht dumm.«
    »Sie meinen, Sie waren ungeschickt.«
    »Ja«, sagte ich, erfreut, dass er es war, der mir erklärte, was ich meinte.
    »Gut, Herr Szirba, ich will Sie nicht länger stören. Das war eine reine Formalität. Solche Dinge geschehen nun mal. Schießwütige Kinder, was kann man da machen? – Im Nebenzimmer wartet Ihre Frau. Sie hat mich um Rücksicht gebeten. Was ich durchaus verstehe. Ihre Frau weiß ja selbst am besten, wie die Medien arbeiten. Darum habe ich auch die Leute von der Presse nach Hause geschickt. Die müssen ja nicht alles erfahren. Ein Glück, dass Ihre Gattin einen anderen Namen trägt. Und Sie, Herr Szirba, wird man eben als todesmutigen Wiener bezeichnen. Lassen Sie uns Schwaben die kleine Freude. Das muss es auch geben dürfen: Ausländer mit Anstand. Und Ausländer, die nicht wie solche aussehen. Morgen ist der Vorfall ohnehin vergessen.«
    Er schüttelte mir die Hand, was mich daran erinnerte, wie sehr die andere schmerzte, welche in dem Verband überraschend klein wirkte, als sei darunter lediglich der mumifizierte Rest der ehemaligen Pracht. Beim Hinausgehen ließ Remmelegg die Tür offen, durch die nun meine Frau trat, von der viele behaupteten, ich verdiente sie nicht. Sie arbeitete fürs Fernsehen, moderierte ein recht erfolgreiches Talk-Magazin, in dem bedeutende Menschen sich ständig ins Wort fielen, den Begriff der Moral strapazierten und gern die Köpfe schüttelten. Meine Frau saß in der Mitte und war hübsch anzusehen. Auch wirkte sie kompetent, indem sie ihre Fragen in einer Art stellte, als wüsste sie längst die Antworten. Was ja auch der Fall war. Jedoch keine Kunst. Und sie spielte die Schiedsrichterin. Hatte also darauf zu achten, dass die Lesung der Leviten im Rahmen zivilisierter Prügel blieb.
    Marlinde trug eines von diesen hellen, steifen Kostümen, in denen die Damen aussehen, als kämen sie frisch aus dem Backofen.
    »Idiot!«, sagte sie und blieb in der Mitte des Zimmers stehen, die Arme verschränkt, unter denen ein Kanister von Handtasche baumelte. »Ich glaub es einfach nicht. Was ist los mit dir? Wozu diese Übertreibungen? Musst du denn dämlicher sein als alle anderen? Spielst den Lebensretter, rettest aber niemanden.«
    »Wär es dir lieber, ich wäre tot?«
    »O Gott.«
    Natürlich wäre es ihr lieber gewesen. Auch wenn wir uns kaum sahen, war ich der Klotz an ihrem Bein, talentlos, umfassend impotent, und zwar – wie sie mir vorhielt – mit Absicht und aus Überzeugung. Ein vierzigjähriger Architekt, der noch immer nicht baute, sondern auf Plänen Striche zog, die andere sich ausgedacht hatten. Man durfte sich also fragen, warum diese Frau mich genommen hatte. Sicher, damals war das beginnende Alter noch nicht wie ein Warnschild vor meinem Gesicht aufgeragt, und in meinen besten Momenten hatte mein Blick gewirkt, als wäre er auf das gerichtet, was die Leute eine Zukunft nennen.
    Nach Stuttgart waren wir gezogen, da sie das Haus ihrer Eltern geerbt hatte, beste Lage, scheußlich eingerichtet, schreckliche Nachbarn. Es zu verkaufen, kam Marlinde nicht in den Sinn, nicht Papas Haus, nicht Mamas Vasen, die an jeder Ecke, jeder Kante wie aufgerichtete Zeigefinger standen. Ohnehin wollte sie, die Deutsche, weg von Wien und vom österreichischen Fernsehen, weg von Menschen, die ihr stets verbraucht erschienen und deren Lustigkeit sie für eine Art Kränkeln hielt.
    Als Marlinde zum Star geworden war, hatte sie darauf geachtet, den Umstand ihres Verheiratetseins wie überhaupt ihr Privatleben (von dem auch ich recht wenig wusste) vor der Öffentlichkeit geheim zu halten. Gern ließ sie
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