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Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte

Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte

Titel: Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte
Autoren: Heinrich Steinfest
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dem Spiel zu lassen. Selbige erschienen eine Stunde später in dem kleinen Raum, in den man mich gesetzt hatte. Der Detektiv sprach von Anzeige. Mein Vater beachtete ihn nicht einmal, verlangte den Geschäftsführer zu sprechen, als wolle er sich über eine Nachlässigkeit beschweren. Das war seine Art, mit Subalternen umzugehen, die selten ihre Wirkung verfehlte. Der Geschäftsführer erschien. Mein Vater benötigte ein paar Minuten, dann konnten wir gehen. In solchen Dingen war er ungemein souverän.
    Da meine Eltern Ende der Sechzigerjahre auf der Höhe der Zeit zu sein pflegten, ersparten sie mir Predigten und Sanktionen, nicht jedoch den Besuch eines Psychologen. Seine Freundlichkeit und grundsätzliche Bereitschaft, meine angebliche Fehlleistung zu tolerieren und als das Signal eines Sprachlosen zu begreifen, sowie die Art dieses Mannes, mich wie einen Erwachsenen zu behandeln, der ich ja nicht war, waren mir nicht geheuer. Was mich dazu veranlasste, an diesem Ort der Beichte, der Sündenerkenntnis und Sündenvergabe (so verstand ich ihn), nicht von meiner Leidenschaft zu sprechen und auf dem Spannungsmoment eines Diebstahls zu bestehen. Und gleichzeitig darauf zu beharren, es nie wieder tun zu wollen. Mir schien, dass ich den Psychologen mit einem solchen Gelöbnis enttäuschte.
    Dass man zu Hause nunmehr verstärkt bemüht war, auf mich einzugehen, empfand ich als Belastung. Auch dass mein Umfeld (offensichtlich auf Empfehlung des Psychologen) sich dazu zwang, mich nicht mehr mit exklusiven Geschenken einzudecken, mir dieserart also das notwendige Material für meine Arbeitsweise vorenthielt. Glücklicherweise nahm der Druck der Einfühlsamkeit, der auf mir lastete, bald wieder ab und die Gabenfreudigkeit der Verwandtschaft wieder zu, da sie schlichtweg begriff, dass es zu wenig war, bloß sich selbst mitzubringen.
    Ich möchte behaupten, dass ich durchaus normal aufwuchs, in dem Sinn, dass ich beim Fußball nicht im Tor stehen musste, meine Freizeit zusehends dem anderen Geschlecht widmete (ohne dabei zu gesunden, im Gegenteil) und schließlich ein Studium absolvierte, und zwar Architektur, als Kompromiss zwischen brotloser Schöngeistigkeit und der väterlichen Empfehlung, das Abenteuer des Welthandels kennenzulernen. Mein geheimer Trieb blieb unentdeckt, was mir als der eigentliche Kern eines jeden wirklichen Triebes erscheint: unentdeckt zu bleiben. Aber eben nicht unausgelebt. Freilich versuchte ich Steigerungen, weg vom reinen Warenhausdelikt, teils riskante Manöver, etwa indem ich die gut bestückte Glaskugelsammlung der Mutter einer Freundin um zwei passende Exemplare bereicherte. Als ich das nächste Mal zu Besuch kam, waren die beiden Stücke verschwunden. Doch geredet wurde davon nicht. Den meisten Leuten schienen solche Entdeckungen peinlich, als zweifelten sie an ihrem Verstand. Auch geriet ich nie in Verdacht, zumindest in keinen, welcher ausgesprochen wurde. Mein Meisterstück, wenn ich das sagen darf, war sicherlich die Unterbringung einer kleinen Handzeichnung von Wilhelm Busch in einer Münchner Galerie (deren Namen ich verständlicherweise nicht nennen kann). Ich riskierte wahrlich Kopf und Kragen, als ich in einem unbeobachteten Moment einen Nagel in die Wand schlug, dort, wo nahe einer Ecke noch genügend Raum war, und die gerahmte, monogrammierte und betitelte Zeichnung platzierte, ein Original, das meine Großmutter mir als einziges Stück vermacht hatte. Eine Fälschung wäre für mich nicht infrage gekommen. Unbehelligt verließ ich die Galerie. Und erdreistete mich, sie tags darauf nochmals aufzusuchen. Das Bild hing an derselben Stelle, nun wiederum durch den Galeristen komplettiert, der neben dem Bild eine Nummer angebracht beziehungsweise selbiges in seine Preisliste aufgenommen hatte. Übrigens ein Betrag, der mich kurz an meiner Handlung zweifeln ließ. Aber das war es wert gewesen. Der Preis entsprach der Tat. Zu dem Galeristen ist zu sagen, dass er wohl zu jenen Geschäftsleuten gehörte, die es verstehen, ein Geschenk anzunehmen. Oder eben einer war, der die eigene Vergesslichkeit nicht weiter tragisch fand. Eine Aktion in dieser Größenordnung wiederholte ich nicht. Dazu fehlte es mir an Kapital wie an Risikobereitschaft.
    Sieben Uhr abends. Der Mann stand vor den Kochbüchern. Ich war gespannt, was für einen Band er dazulegen würde. Natürlich etwas, das mit Kochen zu tun hatte. Er verhielt sich stets korrekt, keine Übertreibungen, eben nicht der Schuh in der
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