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Der Makedonier

Der Makedonier

Titel: Der Makedonier
Autoren: Nicholas Guild
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ungewollte Last abzuschütteln, doch Philipp blieb oben. Schließlich schien er diese Taktik aufzugeben; einen Augenblick lang stand er vollkommen still da und begann dann, im Pferch auf und ab zu galoppieren.
    »Öffnet das Tor«, schrie Philipp, der sich kaum verständlich machen konnte. »Macht es weit auf.«
    Als wären sie verschmolzen zu einem einzigen Wesen, jagten Roß und Reiter über die festgestampfte Erde des Pferchs und zum Tor hinaus auf das windgepeitschte Grasland. Das Stampfen der Hufe klang bald wie ein einziges Geräusch – das Pferd flog über das offene Land, als wollte es sein Herz zum Zerspringen bringen. Noch nie hatte Philipp ein Tier geritten, das laufen konnte wie dieses.
    Aber kein lebendes Wesen kann ewig rennen. Allmählich wurde der Hengst langsamer, und während seine Schrittzahl sich verringerte, begann er auf die Zügel zu reagieren. Schließlich lief er nur noch im leichten Galopp, und Philipp konnte ihm den Kopf in die Richtung drehen, aus der sie gekommen waren. Der hölzerne Zaun des Pferchs war kaum noch zu erkennen.
    »Genug für heute«, flüsterte Philipp und strich dem Hengst über den schwarzen, schweißfeuchten Hals. »Zeit zum Umkehren.«
    Er zog die Zügel an, und das Pferd blieb stehen. Dann drückte er ihm die Fersen in die Flanken, und das Pferd ging im Schritt, als wäre es seit langem an den Willen seines Herrn gewöhnt.
    Alexandros und Perdikkas erwarteten ihn, umringt von Alexandros’ Freunden, am Tor des Pferchs. Philipp sprang ab, trat einen Schritt auf Alexandros zu und streckte ihm die Hand hin.
    »Ich bitte dich um Verzeihung, mein Bruder«, sagte er und blickte Alexandros dabei fest in die Augen. »Ich habe im Zorn gesprochen und habe meine Zunge von verletzter Eitelkeit leiten lassen. Ich habe die Achtung vergessen, die ich dem schulde, der seinen Mut bewiesen hat.«
    Einen Augenblick lang schien Alexandros nicht zu wissen, was er tun sollte, und dann runzelte er die Stirn, als würde er ein Kind tadeln.
    »Wenn du umgekommen wärst, hätte unser Vater, der König, mir die Schuld gegeben.«
    »Wenn ich umgekommen wäre, hätte unser Vater, der König, es gar nicht bemerkt.«
    Überrascht auflachend, nahm Alexandros seinen jüngsten Bruder in die Arme. Der Hengst trat einen Schritt zurück und wieherte, als hätte er Blut gesehen.
    »He, Bursche – du da!« rief Alexandros. »Bring das Pferd des Prinzen Philipp in den Stall, und sieh zu, daß es gut trockengerieben wird. Mein Bruder springt ziemlich grob mit seinen Tieren um.«
    Jetzt lachten alle – bis auf Perdikkas.
     
    Erst nach Einbruch der Nacht, als der Gatte ihrer Tochter schon in ihr Bett gekrochen war, erfuhr Eurydike von Philipps Triumph. Sie hatte das Gesicht der Wand zugedreht, so daß ihr Rücken gegen Ptolemaios’ Brust drückte, und er erzählte ihr die Geschichte, während er das weiche Fleisch ihrer Brüste umfaßte. Er wußte, daß seine Worte in ihr eine dumpfe Wut entfachen würden, als käme ihr eine vor langer Zeit erlittene Ungerechtigkeit zu Bewußtsein, eine Wut, die sich bei ihr immer in Verlangen verwandelte. Auch als er in sie eindrang, wußte er nicht, welches der beiden Gefühle sie nun aufstöhnen ließ, oder ob sie sich des Unterschieds überhaupt bewußt war.
    Danach sagte sie lange Zeit gar nichts.
    »Es ist nicht mehr passiert, als daß ein Junge ein Pferd gezähmt hat«, bemerkte er schließlich. »Er hatte nur Glück, daß er sich dabei nicht den Hals gebrochen hat.«
    »Es war kein Glück.«
    »Natürlich war es Glück.«
    Eurydike lachte. Es klang düster in der Dunkelheit.
    »Wäre es Alexandros oder irgendein anderer gewesen, würde ich dir zustimmen, aber Philipp stirbt erst, wenn ein Mensch Hand an ihn legt.«
    Ptolemaios antwortete nicht. Eurydike hatte ihm wieder den Rücken zugedreht, und ihre Haare, die glänzten wie dunkler Honig, fielen in üppigen Wellen über ihre weißen Schultern.
    Er liebte sie nicht. Sie war nur nützlich, sagte er sich. Sie war der Schlüssel, der ihm eines Tages die Tür zur Macht öffnen würde. Er redete sich ein, daß es genug war, wenn Eurydike ihn liebte – liebte mit der blinden, unterwürfigen Leidenschaft, mit der die Götter jene bedenken, die sie zerstören wollen. Und doch hatte ihre Liebesbeziehung eine Sinnlichkeit in ihm zutage gefördert, von der er gar nicht gewußt hatte, daß er sie besaß, denn er empfand es als höchst erregend, in einer Frau eine solche Leidenschaft zu entfachen, vor allem, da er darin
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