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Der Makedonier

Der Makedonier

Titel: Der Makedonier
Autoren: Nicholas Guild
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ihm beinahe die Sicht nahmen, und hob die Augen zum nächtlichen Himmel, um den Göttern für ihre Gnade zu danken.
    Über ihm funkelte im Westen das Sternbild des Drachenkämpfers.
    »Herakles…«, entfuhr es ihm unwillkürlich.
    »Und auch das ist eine Prophezeiung«, murmelte er. »Vielleicht, mein kleiner Prinz – mein Sohn –, vielleicht ist dein Schicksal doch nicht so ungewiß, wie es scheint.«

2
     
     
    DER HENGST WAR achtzehn Handbreit hoch und wild wie ein Dämon. Kräftige, geschmeidige Muskeln spielten unter seinem glatten, schwarzen Fell, wenn er in seinem von dicken Stangen begrenzten Pferch auf und ab lief und die Erde mit den Hufen aufriß, als suchte er noch immer nach einer Fluchtmöglichkeit. Inzwischen hatte er gemerkt, daß er nicht fliehen konnte, doch seine Wut war noch so groß, daß er nicht stillstehen konnte.
    »Ein hübsches Pferd, nicht?« sagte Alexandros, der erste Prinz von Makedonien, der am Tor lehnte und dem Hengst zusah. Er war groß und blond und geradezu übermenschlich schön, und aus seiner Haltung sprach die ungezwungene, animalische Anmut des geborenen Kriegers. Er beobachtete das Tier aus hellblauen Raubtieraugen, in denen sich eine eigenartige Mischung aus Bewunderung und Neid spiegelte, als wäre der Hengst sowohl sein Eigentum wie sein Rivale.
    »Wir haben ihn draußen auf der östlichen Ebene entdeckt, zusammen mit einer Herde von Stuten ganz für sich allein. Bevor wir ihn in den Pferch treiben konnten, hat er einem Pferd mit einem einzigen Tritt die Schulter gebrochen und den Reiter fast getötet.«
    Der Prinz drehte sich zu den Männern um, die bei ihm standen, und sein Blick fiel auf seine beiden jungen Brüder. Perdikkas, ein Jahr älter als der Jüngste und bereits mit kupferfarbenem Flaum am Kinn, senkte sofort den Blick. Alexandros lächelte, eher aus Verachtung denn aus Zuneigung.
    »Was würdest du sagen, Perdikkas, wenn ich dir dieses prachtvolle Tier zum Geschenk machen würde? Wäre es nicht ein kleines Risiko wert? Ich schenke es dir, wenn du auf seinem Rücken bleiben kannst, bis ich bis zehn gezählt habe.«
    Aber Perdikkas, der trotz seines frisch sprießenden Bartes noch immer ein Junge war, wagte nicht einmal, seinem Bruder ins Gesicht zu sehen.
    »Du hast wohl vor, ewig zu leben, was?«
    All die starken jungen Männer, die Alexandros’ Freunde waren, lachten über diesen Witz, doch dem Jungen stieg die Schamröte ins Gesicht.
    »Unser Bruder Perdikkas kann gut mit Pferden umgehen«, bemerkte plötzlich der jüngste von König Amyntas’ Söhnen, mit einer Stimme, die immer noch beinahe so hoch und dünn klang wie die eines Mädchens. »Aber er ist nicht der Reiter, der sich an einen ungezähmten Hengst heranwagen sollte – wenigstens nicht an den –, und außerdem ist er kein Narr, der sich den Hals bricht, nur weil du ihn herausforderst. Aber wenn du den Hengst wirklich nicht selbst behalten willst, kannst du ihn ja mir zu denselben Bedingungen anbieten.«
    Philipp sah zu seinem ältesten Bruder hoch wie ein Mann, der in die Sonne sieht. Er beschirmte sogar die Augen, und weiße, ebenmäßige Zähne blitzten in einem Gesicht, das mehr durch Kraft und Intelligenz als durchSchönheit beeindruckte. Alexandros war sein Held, aber er hatte nicht die geringste Angst vor ihm.
    Das war so offensichtlich, daß Alexandros lachen mußte.
    »Mein kleiner Bruder Philipp, der Pferdefreund«, sagte er, stützte die Hände auf die Knie und ging ein wenig in die Hocke, als würde er zu einem kleinen Kind sprechen. »Obwohl ich dich schon auf dein erstes Pferd gesetzt habe, bevor du alt genug warst zu gehen, wird dieser schwarze Teufel dich zu Brei zerstampfen.«
    Sie wandten sich beide dem Hengst zu, der einen Augenblick lang den Kopf senkte, dann in die Höhe stieg und mit den Vorderhufen in die Luft schlug, wie um sie herauszufordern.
    »Sei doch nicht verrückt«, murmelte Perdikkas mit gedämpfter Stimme, als hätte er Angst, daß der Hengst ihn verstehen könnte. »Philipp, das Pferd ist ein Mörder.«
    Dann wandte er sich ernstlich verärgert an seinen älteren Bruder.
    »Alexandros, mach diesem Unsinn ein Ende. Wenn du Philipp in seiner Unbesonnenheit unterstützt, dann klebt sein Blut an deinen Händen, so als hättest du ihn selbst umgebracht.«
    Alle lachten, sogar Alexandros, obwohl sein Lachen eine gewisse Unsicherheit verriet. Keiner lachte lauter als Philipp.
    »Er hat recht, Philipp. Sogar ich würde zögern…«
    »Aber ich nicht«, erwiderte
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