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Die Farben der Zeit

Die Farben der Zeit

Titel: Die Farben der Zeit
Autoren: Connie Willis
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»Schöner wäre es gewesen, ganz neu zu beginnen, ohne jene häßlichen alten Ruinen«, sagte sie. »Sie sind ein Symbol, meine Liebe«, erwiderte ihre Freundin.
    Mollie Panter-Downs
     
1. Kapitel
     
     
    Ein Suchtrupp • Kopfbedeckungen in Kriegszeiten • Das Problem der Vetternwirtschaft • Königliche Kopfbedeckungen • Des Bischofs Vogeltränke wird vermißt • Wohltätigkeitsbasare • Ein Hinweis, wo sie stecken könnte • Astronomische Beobachtungen • Hunde • Katzen • Des Menschen bester Freund • Eine plötzliche Abreise
     
     
    Wir waren zu fünft – Carruthers, der neue Rekrut und ich, dazu Mr. Spivens und der Kirchendiener. Es war am späten Nachmittag des fünfzehnten November, und wir standen inmitten dessen, was von der Kathedrale in Coventry übriggeblieben war und hielten Ausschau nach des Bischofs Vogeltränke. Jedenfalls tat ich das. Der neue Rekrut starrte mit offenem Mund auf die zersplitterten Buntglasfenster, Mr. Spivens war drüben bei den Stufen der Sakristei damit beschäftigt, etwas auszubuddeln, und Carruthers versuchte, den Kirchendiener davon zu überzeugen, daß wir vom Hilfsfeuerwehrkorps kamen.
    »Das hier ist Leutnant Ned, unser Truppenführer«, sagte er auf mich weisend, »und ich bin Kommandant Carruthers. Ich bin der Befehlshaber unseres Postens.«
    »Was für’n Posten?« fragte der Kirchendiener mit zusammengekniffenen Augen.
    »Sechsunddreißig«, sagte Carruthers aufs Geratewohl.
    »Und der da?« Der Kirchendiener deutete auf den neuen Rekruten, der gerade herauszufinden versuchte, wie die Taschenlampe funktionierte, und der nicht einmal schlau genug aussah, um ein Mitglied der Bürgerwehr zu sein, geschweige denn vom Hilfsfeuerwehrkorps.
    »Das ist mein Schwager«, improvisierte Carruthers. »Egbert.«
    »Meine Frau wollte, daß ich ihren Bruder für die Brandwache anheu’re«, sagte der Kirchendiener, teilnahmsvoll den Kopf schüttelnd. »Dabei kann er nicht mal durch die Küche laufen, ohne über die Katze zu stolpern. ›Wie soll der denn Brandbomben löschen?‹ fragte ich sie. ›Er braucht Arbeit‹, sagte sie. ›Soll Hitler ihn zur Arbeit schicken‹, sagte ich.«
    Ich ließ die beiden stehen und ging zu der Stelle, wo das Kirchenschiff gewesen sein mußte. Wir hatten keine Zeit zu verlieren. Wir waren spät angekommen, und obwohl es erst kurz nach vier war, machten es Rauch und dichter Mauerstaub, der in der Luft hing, schwierig, überhaupt noch etwas zu erkennen.
    Der Rekrut hatte es aufgegeben, mit der Taschenlampe herumzuprobieren und beobachtete Mr. Spivens, der entschlossen im Schutt neben der Treppe wühlte. Ich schaute abschätzend an ihm vorbei, um festzustellen, wo sich der Nordgang befunden hatte, und begann, mich in Richtung Kirchenschiff vorzuarbeiten.
    Des Bischofs Vogeltränke hatte auf einem schmiedeeisernen Pfosten genau vor der Chorschranke der Smithschen [1] Kapelle gestanden. Ich bahnte mir vorsichtig meinen Weg durch die Trümmer und versuchte, herauszufinden, wo ich mich eigentlich befand. Von der Kathedrale erhoben sich nur noch die Außenmauern und der schöne Kirchturm mit der Spitze. Alles andere – das Dach, die hohe Kuppel, die Lichtgaden und Säulen waren zu einem einzigen riesigen Haufen unidentifizierbaren, schwärzlichen Schutts zusammengestürzt.
    Also, dachte ich, auf einem Dachbalken stehend, hier war wohl die Altarnische gewesen und dort drüben die Drapersche Kapelle, obwohl man das lediglich anhand der zersplitterten Fenster sagen konnte. Das steinerne Gewölbe war eingebrochen, und nur die mit Erkern versetzte Wand stand noch.
    Und hier war die St. Laurence-Kapelle, überlegte ich, während ich auf Händen und Knien über den Schutt kroch. Trümmer und verkohlte Dachsparren lagen hier fast zwei Meter hoch aufgetürmt, außerdem war es glitschig. Es hatte den ganzen Tag über wiederholt genieselt, und der Regen hatte die Asche in schwärzlichen Matsch verwandelt und die Bleischiefern des Daches glatt wie Eis werden lassen.
    Die Girdlersche Kapelle. Und dies hier mußte die Smithsche sein. Von der Chorschranke war allerdings nichts zu sehen. Ich versuchte abzuschätzen, wie weit entfernt vom Fenster sie gestanden haben mochte, und begann zu graben.
    Des Bischofs Vogeltränke lag jedoch nicht unter dem Haufen zersplitterter Tragbalken, und die Chorschranke ebensowenig. Ich fand nur ein Stück zerbrochenen Geländers, hinter dem einst Gläubige gekniet hatten, und Teile einer Kirchenbank, was hieß, daß ich zu
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