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Der Makedonier

Der Makedonier

Titel: Der Makedonier
Autoren: Nicholas Guild
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König, dessen Gang ein wenig unsicher wirkte, ließ sich von ihm stützen wie ein kleines Kind, das eben erst gehen lernt. Lukios, ein freundlicher Niemand mit einem Gesicht, das so glatt und so rosig war wie ein Apfel – das untrügliche Zeichen für eine Abstammung aus uraltem Geschlecht –, folgte einige Schritte hinter ihnen.
    Der Gang, der zu den Frauengemächern führte, war schwarz und stickig wie eine Grabkammer. Amyntas nahm eine Fackel aus ihrer Halterung an der Wand, um ihnen zu leuchten, aber die Flamme schien kaum sich selbst zu genügen. Er hielt die Fackel vor sich ausgestreckt, als wollte er die Dunkelheit zurückdrängen, doch lenkte mehr die Gewohnheit seine Schritte als das, was er sah.
    »Was ist passiert?« flüsterte er Nikomachos ins Ohr, und sein Kinn berührte dabei fast seine Schulter. »Was ist schiefgegangen? Sie ist doch eine starke Frau…«
    Nikomachos schüttelte den Kopf, doch es war keine Geste des Widerspruchs.
    »Vielleicht war es ihr Alter und daß dieses Kind so bald nach dem letzten gekommen ist. Außerdem gab es Schwierigkeiten – es war eine lange und beschwerliche Geburt, und als der Junge endlich kam, hatte er die Nabelschnur in der Hand. Allem Anschein nach hat er sie abgedrückt, und ich habe keine Ahnung, wie lange er ohne Nahrung von der Mutter auskommen mußte.«
    »Er hat sie abgedrückt? Ist denn das möglich?«
    »Alles, was passiert, ist möglich, mein Gebieter.« Der Arzt verzog die Lippen zu einem verkrampften Lächeln. »Dein Sohn schien nicht gerade erpicht darauf, zur Welt zu kommen.«
    »Bei fünf königlichen Brüdern, die zwischen ihm und dem Thron stehen, kann ich ihm das nicht verdenken.« Amyntas gestattete sich ein kurzes Auflachen, als wäre ihm dieser Witz eben erst eingefallen, doch dann wurde er plötzlich wieder ernst. »Und doch ist es seltsam, daß er die Nabelschnur abgedrückt hat. In meinem ganzen langen Leben habe ich so etwas noch nicht gehört.«
    »Vielleicht ist es ein Omen«, bemerkte Lukios ein bißchen zu übereifrig. »Vielleicht sollte mein Gebieter einen Boten nach Delphi schicken.«
    »Ja – vielleicht hat das Haus der Argeaden einen zweiten Herakles hervorgebracht.«
    Ptolemaios lachte, um zu zeigen, wie abwegig er den Gedanken fand.
    »Es ist nicht ratsam, die Götter zu mißachten«, erwiderte Lukios, doch man merkte seiner Stimme an, daß es ihm nichts ausmachen würde, wenn niemand auf ihn hörte.
    Amyntas brachte ihn mit einer unwilligen Geste zum Schweigen.
    »Um dem Orakel die Zunge zu lösen, wäre ein Geschenk von mindestens ein paar Talenten Gold nötig«, sagte er. »Und dann antwortet die Priesterin höchstens in Rätseln, die zu nichts nütze sind, außer daß sie einem Mann die Gedanken verwirren. Aber auch wenn ihre Prophezeiungen so klar und durchsichtig wären wie ihre Pisse, ist das Schicksal eines sechsten königlichen Prinzen trotzdem so ungewiß, daß ich mich nicht in Armut stürzen werde, um es herauszufinden.«
    »Falls er aber wirklich ein Herakles ist und schon in seiner Wiege Schlangen erwürgen wird, dann hätte er kaum einen besseren Anfang machen können als mit der, die er aus dem Bauch seiner eigenen Mutter gezerrt hat.«
    Nur Nikomachos stimmte in das Gelächter des Königs nicht mit ein. Er setzte ein ernstes Gesicht auf und tat so, als würde er die getrockneten Blutflecken auf seinen Händen betrachten.
    Die Geburtskammer war ein kleiner Raum, den nur eine einzige Öllampe in ein flackerndes Licht tauchte. Die Luft stank so sehr nach Blut und Erschöpfung, daß das Atmen zu einer lästigen Qual wurde. Eurydike lag in ihrem Bett, die Brust unter ihrer dünnen Tunika so bewegungslos, daß man im ersten Augenblick nicht sagen konnte, ob überhaupt noch Leben in ihr war. Sogar ihre rötlichbraunen Haare waren stumpf geworden wie tote Blätter. Vonihrer Schönheit, die einst die Lust des Königs wie Gift durch seine Adern hatte strömen lassen, war nur noch ein Schatten übrig.
    Man hatte ihr den Schweiß von Stirn und Gliedern gewaschen, doch ihr Körper wirkte leblos und gelblich wie altes Wachs. Nur die Augen waren noch lebendig, und wie die eines Hundes suchten sie sofort das Gesicht ihres Herrn. Sie schienen ihn mit der Vertrautheit eines lange währenden Hasses zu betrachten.
    Amyntas würdigte sie keines Blickes.
    »Pfui!« Er schüttelte angewidert den Kopf. »Was für eine Gnade ist es doch, nicht als Frau geboren zu sein. Hier drinnen ist es wie auf einem Schlachtfeld – bevor die
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