Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Puck

Puck

Titel: Puck
Autoren: Hans G. Bentz
Vom Netzwerk:
Prolog

    Vor kurzem, auf der Rückfahrt von einer Urlaubsreise nach Frankreich, passierte mir etwas sehr Merkwürdiges.
    Ich fuhr nicht über München/Autobahn zurück, sondern bummelte den Bodensee entlang, dann über die verschlungenen Voralpenwege. Während ich darüber sinnierte, wie scheußlich das Reisen im Jahre 2000 sein würde, bog mein Wagen — der wie alle meine Wagen nach einem längst verstorbenen Boxerhund Boxi heißt — nach Süden ab. Am Steuer saß offenbar mein Unterbewußtsein, mein Schutzengel oder das Gespenst einer alten, wehmütigen Erinnerung. Jedenfalls kam ich erst zu mir, als ich zwischen die ersten Häuser eines Ortes einfuhr, den wir Felsental nennen wollen.
    Ich klopfte Boxi aufs Steuer: »Nun sage mal, Dicker, was sollen wir denn hier? Sieh dir doch diese scheußliche Wohnmaschine an, die sie hier auf unseren alten Holzplatz gepflanzt haben! Weißt du noch, wie es an Sonnentagen hier wunderbar nach Harz und heißem Baumfleisch roch? Du weißt es nicht — es ist ja schon rund drei Jahrzehnte her.«
    Dann aber sah ich die alte Kapelle. Himmel, war die Eiche gewachsen, die sich damals so ängstlich an die altersgrauen Klötze schmiegte! Und nun immer tiefer hinein in die alten Gassen. Plötzlich, mit einem Ruck, erkannte ich sie alle wieder. Gleichgültig war mir das fremde Menschengewühl, das sich an den Häusern entlangschob. Die Häuser selbst waren es, die zu mir sprachen. Ihre breiten Bögen, das Schnitzwerk, die bunten Bilder, Fensterumrankungen — und die Toten und Verschwundenen, die plötzlich alle wieder da waren, hinter den Scheiben lächelten, mir von den Baikonen zuwinkten...
    Am Markt, unter der segnenden Hand des Brunnenheiligen, parkte ich, und wieder stand ich dort mit beklommen-verzücktem Atem vor der steinernen Gigantenwelle des Gebirges. Betäubt von ihrer Gewalt, wanderte mein Blick auf und nieder, von den Wäldern angefangen, in denen ihre Füße wurzeln, bis zum höchsten wolkenumwehten Getürm, das da ist, wo gar nichts mehr sein dürfte und doch etwas ist: dolomitische Nadeln, ineinander verbacken, aneinandergeschmolzen, breite, senkrechte, triumphierende Bastionen, schaurige Festungen, grau, nackt, drohend, manchmal fmster-lächelnd unter dem Schatten eines gestrandeten Wolkenschiffes, Terrassen vorgelagert, auf denen, von ewigem Eis umschlungen und unsichtbar unseren stumpfen Sinnen, Götter und Göttinnen ruhen mochten, die Augen versteinert vor dem Anblick des Alls, blicklos niederschauend auf das winzige Gebröckel der Stadt hier in der Tiefe.
    Längst versunkene Stunden standen in mir auf, Flut der Erinnerungen, glücklicher, peinvoller, die einander beiseite stießen, wollte doch jede für einen Augenblick wieder Gegenwart sein.
    Wenn ich nicht irrte, mußte dort halblinks, am Ausgang des Marktes, die Gasse der Handwerker sein. Nun war ich in ihr. Ihre Kühle wehte mich wieder an, und die alten Zunftzeichen waren auch noch da, hier die goldene Brezel des Bäckers, dort die eiserne Traube des Weinkellers.
    Jetzt war ich hindurchgebummelt und in einen neuen Ortsteil gelangt, der sich mit großen und prächtigen Villen dem Gebirge entgegenstreckte. Früher waren hier Wiesen, die um diese Zeit von Blüten überschäumten, von fettem Klee und den Goldtalern des Löwenzahns.
    Ja — wer kam denn da? Die Figur kannte ich doch, diese speckigen Gamsledernen, auf den jetzt viel dünneren und krummeren Beinen, dieses Bartgestrüpp, in das die uralte halblange Pfeife gerammt war. Allerdings war das Bartgestrüpp jetzt schneeweiß, und es war kohlschwarz gewesen, als ich den Alois zum Abschied an die Brust gedrückt und seine Spezialmischung aus Enzian und Knoblauch noch drei Stationen weit in der Nase gehabt hatte. Nun blieb er vor mir stehen, zwinkerte mich aus rot geränderten Suffäugelchen an: »Jo, dolecktsmigleiamoarsch, wenn das net der alte Hannes is!«
    Hui, wie das durch und durch ging, daß jemand mich den >alten Hannes< nannte! Alt waren doch nur die anderen! Knoblauch und Enzian umwallten mich wieder, während wir uns umarmten. »Guat schaugst aus. Wenn’st net an Schimmel an de Schläfn hättst, kennt ma glaubn, daß d’ no der alte Hallodri von domals bist«, erklärte er und beruhigte mich damit etwas. »Was tuast’n du im Preißn-Viertel?«
    »Preußen-Viertel?«
    Er umfuhr mit der Halblangen verächtlich die Umgebung. Die Halblange, stellte ich fest, hatte noch immer unter dem silbernen Deckel ihren Porzellankopf, auf den ein Jäger mit
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher