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Der Lockvogel

Der Lockvogel

Titel: Der Lockvogel
Autoren: Chris Morgan Jones
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Mann, der deinem Vater den Rest gegeben hat. Der Mann, der dafür gesorgt hat, dass er für seine eigentlich banalen Fehler bezahlen musste. Aber das ist okay, denn dieser andere Mann, der, den du vielleicht einmal getroffen hast, an den du dich aber sicher nicht mehr erinnerst, der ist auch erledigt.« Er hielt inne, riss sich zusammen. »Ich war erleichtert. Ich habe nicht einmal gefragt, wo sie ist. Besser für sie, dass ich es gelassen habe.«
    Hammer hielt Websters Blick stand, nickte sanft und ließ die Hand von seinem Mund sinken.
    »Wie fühlen Sie sich jetzt, was Gerstman angeht? Fühlen Sie sich noch verantwortlich?«
    »Ja. Ich glaube, dass ich die Dinge in Bewegung gesetzt habe. Den Mechanismus scharf gemacht habe.«
    »Aber Sie haben die Jagd fortgesetzt.«
    Webster runzelte die Stirn, warf Hammer einen scharfen Blick zu, um einen Hinweis darauf zu bekommen, was er meinte.
    »Das habe ich.«
    »Ich kritisiere Sie nicht. Wir machen eben weiter. So sind wir. Wir können die Dinge einfach nicht ruhen lassen.«
    »Genau das ist der Punkt. Ich will die Dinge ruhen lassen.
Ich will sie genau so lassen, wie sie sind. Und es ist mir vollkommen egal, ob ich so bin oder nicht.«
    Hammer nickte. »Ich sage nicht, dass Sie sich im Lauf der Zeit besser fühlen werden. Das werden Sie nicht. Ich hatte einmal einen Informanten, der sich erhängt hat. Das ist Jahre her, vor Ikertu. Bis heute weiß ich nicht, warum er es getan hat, und bis heute wird mir bei dem Gedanken daran übel. Sie werden sich nicht besser fühlen. Aber Sie werden es besser verstehen.«
    »Was verstehen?«
    »Was wir tun. Warum wir es tun. Dass wir alles in allem etwas Gutes tun.«
    Nicht für Gerstman. Nicht für den armen Lock. Und was Inessa anging, würde er es nie wissen.
    Er schaute weg. Das Licht in den kahlen Bäumen vor dem Fenster zeigte ihm, dass der Tag in etwa einer Stunde vorüber sein würde.
    »Lassen Sie sich Zeit«, sagte Hammer. »Kommen Sie in einem Monat zurück. In zwei Monaten. Aber kommen Sie zurück.«
    Webster schaute zu Boden und nickte einmal, ein kaum wahrnehmbares Senken des Kopfes.
    »Danke, Ike. Wir werden sehen.«

    Webster ging in östlicher Richtung durch Hampstead Heath. Die niedrig stehende Sonne schien durch eine Allee aus kahlen Linden und warf verrückte Lichtmuster auf die toten Blätter, die den Boden bedeckten. Es war halb drei, Nancy und Daniel würden in einer Stunde aus der Schule kommen. Der Park war ruhig: Einige Jogger waren unterwegs, ein paar Mütter schoben Kinderwagen. Oben auf einem Hügel
kam er ins Licht, und da lag London unter ihm, in einen hellen, kalten Dunst gehüllt. Er ging an einer Wand aus tiefgrünen Stechpalmenbüschen entlang und nahm dann den schattigen Durchgang zum Teich. Zwei alte Männer standen auf der hölzernen Plattform und trockneten sich mit weißen Handtüchern ab. Im Umkleideraum zog er Mantel, Schuhe, Anzug, Hemd und Socken aus und ging in den Boxershorts nach draußen. Die Luft stach auf seiner Haut. Am Ende des Sprungbretts blieb er stehen, schaute hinauf in den Himmel über ihm, ein perfektes Ultramarinblau, schaute hinab in das grünschwarze Wasser unter ihm und sprang. Die Kälte umfasste seine Hände, seinen Kopf, seinen müden Körper, und der Schock ließ ihn erwachen.

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Vollständige deutsche Erstausgabe 07/2012
    Copyright © 2011 by Chris Morgan Jones
    Copyright © 2012 der deutschsprachigen Ausgabe
by Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
    Redaktion: Marcus Jensen
Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München,
unter Verwendung eines Fotos von
© plainpicture/arcangel/Stephen Mulcahey
Satz: Greiner & Reichel, Köln
    eISBN 978-3-641-12220-1

    www.heyne.de
    www.randomhouse.de
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