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Inselkönig

Inselkönig

Titel: Inselkönig
Autoren: H Nygaard
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EINS
    Die dunkle Wolkendecke hing drohend am Himmel. Es
schien, als erdrücke sie alles, was sich im eiskalten Ostwind unter ihr duckte.
Im Grau des vergehenden Tages zeichneten sich am Horizont schemenhaft die
Warften der gegenüberliegenden Halligen ab. Wie an einer Perlenkette aufgereiht
waren die Wohnstätten der Bewohner von Langeneß auszumachen. Im diesigen
Dämmerlicht des Nachmittags waren die Häuser nur als mattgrauer Schattenriss zu
erkennen. Es würde nicht mehr lange dauern, bis die Dämmerung des unwirtlichen
Februartages das gestreckte Eiland gänzlich verschlucken und erst am Folgetag
wieder freigeben würde, wenn nicht Nebel oder Niederschlag die Sicht über das Wattenmeer
behinderten.
    Anna Bergmann zog den Kragen ihrer Winterjacke enger
zusammen. Aus zusammengekniffenen Augen blickte sie über das Wasser.
    »Brrr. Kalt ist es«, sagte sie und schüttelte sich.
Dann legte sie den Kopf zurück und ließ ihn gegen Christophs sinken, der hinter
ihr stand und sie mit beiden Armen umfasste.
    »Das ist um diese Jahreszeit so«, sagte er und
lächelte dabei.
    »Ach du Schlauberger«, erwiderte Anna und fiel in sein
leises Lachen ein.
    Er zog sie an sich. »Trotzdem ist es ein
unvergleichliches Erlebnis, einen Wintertag auf Föhr zu erleben. Die Stille,
die klare Luft – man glaubt, die Zeit würde langsamer vergehen, und man tauscht
Hektik gegen Leben.«
    »Mein kleiner Philosoph.« Anna rieb vorsichtig ihren
Hinterkopf an seiner Wange. »Wenn es nicht so kalt wäre, könnte ich dir
zustimmen. Aber ein klarer Wintertag mit blauem Himmel und reiner Luft wäre mir
jetzt lieber.«
    »Das ist Kuschelwetter«, sagte Christoph. »Man atmet
tief durch, trinkt einen Tee, und allein der Gedanke an das feuchtkalte Wetter
lässt die Menschen enger zusammenrücken.«
    Anna drehte sich zu ihm um und gab ihm einen Kuss.
»Das würde mir aber nicht gefallen … Ich meine, wenn du an diesem Näherrücken
beteiligt wärst.«
    Er ließ seine Arme sinken. »So?«, fragte er spöttisch.
»Soll ich dich loslassen?«
    Sie drängte sich an ihn. »Nein, Herr Hauptkommissar.
So war das nicht gemeint.«
    »Erster Hauptkommissar«, sagte Christoph betont. »Aber
das bin ich erst ab morgen wieder.«
    Anna löste sich vorsichtig aus seiner Umarmung. »Ich
möchte zurück zum Auto«, sagte sie. »Es sieht nach Schnee aus.«
    Christoph lachte. »Wie kommst du darauf? Orakelst du
auch, wenn Patienten zu euch in die Praxis kommen und über unklare Beschwerden
klagen?«
    »Du bist doof. Spürst du das nicht? Die Schneeluft?«
    »Frauen und ihre Gefühle. Ich dachte, du bist noch
Lichtjahre davon entfernt, wetterfühlig zu werden.«
    Sie knuffte ihm zart mit der geballten Faust in die
Seite. »Frauen sind eben sensibler als Männer.«
    Christoph lächelte sie an. »Ich liebe deine
Sensibilität, besonders wenn wir allein sind.«
    Sie standen eine Weile schweigend da, als Anna
plötzlich »Hah« sagte und sich mit dem Zeigefinger über die Nasenspitze fuhr.
    »Was möchtest du damit kundtun?«, fragte Christoph
gegen den Wind, der noch mehr aufgefrischt hatte.
    »Das war die erste Schneeflocke.«
    »Ich spüre nichts«, erwiderte er und vermied es, sich
eine Reaktion anmerken zu lassen, als auch er die erste Flocke auf seiner Stirn
spürte.
    Sie gingen langsam Richtung Parkplatz, auf dem ein
paar Fahrzeuge auf die Ankunft der Fähre warteten, die sie zurück zum Festland
bringen sollte. Auch Christophs schwarzer Volvo Kombi stand dort. Er warf einen
Blick auf das Wasser. Es war noch eine gute Stunde Zeit, bis das Schiff um halb
fünf an der Brücke 1 in Wyk ablegen würde, um sie nach Dagebüll zu
bringen. Von dort war es eine Dreiviertelstunde bis zu ihrer Wohnung, in der
sie seit einem halben Jahr gemeinsam lebten.
    »Ob es wieder die ›Nordfriesland‹ ist?«, fragte Anna.
    »Es ist doch gleich, mit welcher Fähre wir fahren«,
antwortete Christoph eine Spur geistesabwesend. In Gedanken war er jetzt bei
dem Fall, der ihn auf die Insel geführt hatte.
    Ein junger Mann hatte die scheinbare Abgeschiedenheit
Föhrs genutzt und sich eifrig als Produzent von Musik- und Filmdatenträgern
betätigt. Auch als Versender von Unterhaltungsangeboten im Internet hatte er
sich schnell einen guten Namen gemacht. Seine Kunden schätzen nicht nur die
Zuverlässigkeit, sondern auch das preiswerte Angebot. Leider waren die
Produkte, die er anbot, ausnahmslos Raubkopien.
    Christoph hatte sich des Falls angenommen, der von
seinen Mitarbeitern gründlich
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