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Inselkönig

Inselkönig

Titel: Inselkönig
Autoren: H Nygaard
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runtergekommen
heute Nacht. Und wenn’s dazu auch noch püstert, dann …« Er ließ den Satz
unvollendet. Während der Trecker mit seinen großen Reifen mühelos über die
geschlossene Schneedecke fuhr, sah Christoph, was der nächtliche Schneesturm
angerichtet hatte. Ganz Wyk schien unter dem Schnee verschwunden zu sein. Es
war ein Bild, wie man es nur von Kalenderbildern von eingeschneiten
Alpendörfern kannte. Vereinzelt waren vermummte Gestalten damit beschäftigt,
mit der Schneeschippe der Massen Herr zu werden. Aber es schien ein
vergebliches Unterfangen zu sein.
    »Wo fahren wir hin?«, fragte Christoph gegen den
dröhnenden Motorenlärm an.
    »Zur Vogelkoje nach Boldixum.«
    Christoph unterließ es, weitere Fragen zu stellen.
Vermutlich hätte der schweigsame Traktorist sie ihm nicht beantworten können.
Außerdem wollte er nicht durch Fragen die Phantasie eines Zivilisten anregen,
die der Mann bei anderer Gelegenheit aus möglicher Wichtigtuerei wiedergeben
würde.
    Auf dem ganzen Straßenstück begegnete ihnen nur ein
einziges Fahrzeug. Der Traktor überquerte die beiden »in die Insel« führenden
Hauptstraßen, bog in »But Dörp« ein, und kurz darauf hatten sie die
geschlossene Ortschaft verlassen. Das Ortsausgangsschild war mit einer dichten
Schneeschicht überzogen und zur Hälfte unlesbar. Mit ein wenig Phantasie konnte
man erkennen, dass der nächste Ort Oldsum dreizehn Kilometer entfernt war. Die
schmale Straße führte ins Nichts. Christoph kannte den Weg von früheren
Besuchen und wusste, dass in der weiten Marsch eine einzige Windmühle stand.
Heute waren kaum die Knicks zu sehen, die die Straße säumten. Nach fast drei
Kilometern tauchte ein Schild mit abknickender Vorfahrt auf, die Straße machte
einen Schwenk nach links, während ein schmaler asphaltierter Pfad geradeaus
führte. Ein Sackgassenschild zeigte die Endlichkeit des Weges an. Unterwegs
waren sie mehrfach durch Schneewehen gefahren. Der Wind und der sich in Wirbeln
an kleinen Erhebungen und Büschen festsetzende Schnee, der sich unvermittelt zu
kleinen Hügeln auftürmte, an denen sich weitere Niederschläge verfingen,
führten dazu, dass im Nu die Verkehrswege abgeschnitten waren, und da ein
Schneesturm die Region nur selten überrollte, mangelte es an der Infrastruktur,
um der Umstände Herr zu werden.
    Wie aus dem Nichts tauchte ein rotes Feuerwehrfahrzeug
auf, daneben stand der bekannte VW Bulli der Wyker Polizei. Der Treckerfahrer hielt an und öffnete wortlos die
Tür.
    Als Christoph die schützende Kabine verließ, peitschte
ihm der Wind ins Gesicht. Selbst die unscheinbaren Flocken stachen wie
Nadelstiche auf der Haut. Unwillkürlich kniff er die Augen zusammen, sprang in
den Schnee und versuchte, sich zu orientieren. Ein Feuerwehrmann stieg aus der
Kabine eines Einsatzfahrzeuges.
    »Die Kameraden von der Polizei sind drüben«, erklärte
er gegen den Sturm und zog Christoph leicht am Ärmel zu einer Stelle jenseits
eines Grabens, über den ein Bohlenweg führte.
    Merkwürdig, dachte Christoph, dass die Schneeschicht
auf dem Übergang relativ dünn war und neu schien. Ob das in der geschützten
Lage begründet war? Der Wind blies aus Richtung Osten, und an dieser Stelle
befanden sie sich im Windschatten der Vogelkoje. Das war auch daran erkennbar,
dass ihm an dieser Stelle der Sturm den Schnee nicht mit Vehemenz ins Gesicht
und in alle Öffnungen trieb, die sich trotz fest zugeschnürten Kragens boten.
Das einfache Schild auf der anderen Grabenseite zeigte an, dass dies die
Boldixumer Vogelkoje von 1879 war. Gegenüber verkündete ein kleines Schild: »Zutritt verboten«. Es lag sicher nicht nur am Wetter, dass alles trostlos und
ungepflegt aussah. Ökofreaks würden es möglicherweise naturbelassen nennen,
während Große Jäger an dieser Stelle sicher lakonisch festgestellt hätte: »Der
Wald müsste einmal gefegt werden.« Christoph folgte den schon wieder zuwehenden
Spuren kräftiger Männerstiefel und stieß kurz darauf auf eine Ansammlung von
fünf Männern, angeführt von Hauptkommissar Thomsen und einem zweiten Beamten
der Inselpolizei, den er vom Sehen kannte. Zwei Feuerwehrleute sowie ein
Zivilist vervollständigten die kleine Gruppe. Mit Missbilligung nahm Christoph
zur Kenntnis, dass einer der Feuerwehrleute leicht geduckt mit dem Rücken zum
Wind stand, mit beiden Händen eine Art Hohlraum bildete und trotz des Sturmes
rauchte. Bei diesem Wetter würde das unbedachte Verhalten am Tatort
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